Chilbimusig in der Stadtkirche
Klangliche Verschönerung des Martinimarkts
Herz und Sinne zutiefst anrührende Chilbi-Musik kam am vergangenen Sonntagabend in der Stadtkirche zu Gehör. Dies geschah aus Anlass des Diessenhofer Martini-Marktes. Mit seinem unkompliziert mitreissenden Spiel regte Peter Geugis unmittelbar zum Geniessen und mitfühlenden Erleben an. Der im Städtli gastierende Organist aus Schaffhausen-Buchthalen, von Kirchenvorsteherin Tanja Schum mit launigen Worten begrüsst, bot einen zupackenden Zugang zur Musik.
Unter seinen kundigen Händen vereinigte die Orgel als «Königin der Instrumente» Appenzeller und Schaffhauser Heimatklänge, Märsche, Wiener Walzer, slawische Tänze sowie Stücke aus dem angelsächsischen Raum. Die vergnüglichen Melodien wurden mit verschiedensten Registerfarben modelliert. Es war eine tänzerisch verspielte, intuitiv anregende und marschmässig herausfordernde Klangfülle, die die Stadtkirche an diesem Abend verströmte: Musik aus dem Volk und für das Volk, rustikal und urwüchsig, leicht und locker bewegt, melodiös fliessend oder plötzlich dann kräftig-kantig aufgetürmt.
Barocke Fülle
Den Auftakt bildete eine «Intrade in Jazz». Schwungvolle Dreiklänge bereiteten den Boden für einen trompetenartigen Combo-Klang. Dann wurde die Stimmung feinfühlig und heiter: Ein «Capriccio gioccoso» liess mit hüpfender Melodie so manches Schmunzeln aufkommen. Hernach erfolgte ein Szenenwechsel in prächtig barocker Gestalt: Das «Präludium aus Te Deum» von Marc-Antoine Charpentier brachte die spanischen Trompeten der Diessenhofer Schwenkedel-Orgel zu äusserst kraftvollem Einsatz. Im Kontrast dazu fand der italienische Komponist Luigi Arditi mit «Il bacio» (= Kusswalzer) Gehör. Die schnellen Wechsel von laut und leise erzeugten eine geheimnisvolle Atmosphäre. Die «Bettina Polka» des tschechischen Tonkünstlers Bedrich Smetana, für das Klavier erdacht und von Geugis für die Orgel spielbar gemacht, beeindruckte durch ihre lässige Fröhlichkeit.
Heimatklänge
Beim lüpfigen «Tannershannes-Wälserli» fiel es so manchem Zuhörer schwer, ruhig in der Bank sitzen zu bleiben. Am liebsten hätten wohl einige das Tanzbein geschwungen. Die mit Sehnsucht erfüllte «Obedröti am Alpstee», weich und wehmütig dargeboten von den Streicher-Registern der Orgel, versetzte das Publikum in eine sanft melancholische Stimmung. Eine von Peter Geugis selbst entworfene Fantasie über das «Munotglöggli» liess sodann die Herzen der heimatverbundenen Hörerschaft höher schlagen. Schweizer Volkslieder wie «Am Himmel staht es Stärnli» über «Vo Lozärn gege Wäggis zue», «Gang, rüef de Brune», «S’isch mer alles eis Ding» und «Ramseiers wei go grase» bis hin zu «Sonnez les matines!» sind im «Munotglöckli» sorgsam versteckt – aber für das ländliche Herz spielerisch leicht zu entdecken.
Tänze und Märsche
Mit einem «Gipfelstürmer» preschte das abendliche Programm zur Appenzeller Volksmusik vor. Die «Mazurka», ein edler Hoftanz im ¾-Takt, begeisterte durch ihren genau abgezirkelten, formvollendeten Aufbau. Das «Zäuerli» aus Ausserrhoden ist ein Naturjodel, von Geugis für die Orgel umgesetzt. «Wänn´s Bähnli chont», für das Hackbrett geschrieben, liess in seiner volltönenden Orgelfassung das Herannahen des Appenzeller Bähnli erahnen.
Mit der Polka «Frauenherz» von Josef Strauss, Bruder des Wiener Walzerkönigs Johann Strauss, kam die Hörerschaft in den Genuss eines besonders eleganten Häppchens: Leichtfüssig schlängelte sich die rhythmisch punktierte Melodie auf einer Bahn abenteuerlicher Kurven dahin. Mit kraftvoll vorwärtsschreitenden Klanggebilden schritt sodann der «Diessehofer Chilbi-Marsch» einher. Von Geugis bereits für die «Diessehofer Chilbimusig 2013» geschrieben, verknüpft dieser imposante Marsch Thurgauer und Appenzeller Elemente.
Von jenseits des Atlantik
«Hang-Over Blues», so der Titel eines Jazz-Foxtrotts von 1917, zeigte die schnell beweglichen Elemente des Ragtime. «Take Five» im ungewöhnlichen 5/4-Takt lockte die Hörer in tänzerisch beschwingte Sphären. Und wie ist auf der Orgel ein Saxophon nachzuahmen? Diese Herausforderung löste der Organist durch zurückhaltende Dreiklänge, die dem Hit einen fast mystischen Charakter verliehen. Mit «The Beginning» erscholl kantiger Orgelklang im mitreissenden Pop-Stil. Als Zugabe erklang «Wild Cat Blues». Dieses erfrischende Klarinetten-Solo fehlt in keiner Jazzband. Es vermag in der Interpretation von Geugis auch die Orgel brillant zu schmücken: Die fröhliche Melodie schwingt sich aus schwindelnder Höhe ins menschliche Herz hinab – und steigt alsbald wieder hinauf in die Weiten des Himmels, vorwärtsgetrieben durch festlich frische Rhythmen.
Ausklang zum Lob Gottes
Der Abend bot auf der Orgel selten gehörte, traditionell vorgegebene und zugleich neu geformte Wahrnehmungen volkstümlicher Klänge. Es war ein gefühlsmässig einladender Zugang zu diesem Instrument, den Peter Geugis zelebrierte. Barrieren zwischen unterschiedlichen Hörgewohnheiten oder auch Schranken zwischen gegensätzlichen Stilrichtungen lösten sich in beinahe grenzenloses Wohlgefallen auf. Das Publikum war von einem tiefen Gefühl der Harmonie und Zusammengehörigkeit erfüllt. Lang anhaltender Beifall, den der Interpret nach eigenen Worten gerne nach oben an den göttlichen Schöpfer und Meister weitergab, liessen diesen denkwürdigen Abend ausklingen.