Diessenhofer Frühlingserwachen mit Flötentönen und Dichterklängen

Ein wundervoll stimmiger Anlass bewegte in der vergangenen Woche Herz und Sinne der Menschen im Städtli. Die Veranstaltungsreihe „Kultur am Nachmittag“ brachte frühlingsbegeisterte Bürgerinnen und Bürger zusammen. Dies geschah im Evangeli-schen Kirchgemeindehaus am Dienstag 16. April. Das Blockflöten-Ensemble „Sopral-tenba“ unter Leitung von Brigitta Lampert erfreute die Besucher mit feinsinnig ausba-lancierter, vielstimmiger Musik und zartfühlender dichterischer Kraft. Tanja Schum als Leiterin der Programmreihe begrüsste die acht Flötistinnen  auf das Herzlichste.

Tanzen und Springen

Mit der volkstümlichen Weise „Tanzen und Springen“ begann der bunte Reigen, in den die anwesenden Diessenhofer Frühlingsfreunde voll mit einbezogen wurden, vor allem während des munteren Stücks „Kommt ihr G´spielen“. Alsdann wurde „der lieben Son-ne Licht und Pracht“ dankbar gedacht, und zwar mit vielstimmig wohltemperierten Tö-nen zur Ehre des Schöpfers. Schliesslich folgte die Überleitung zum humorvollen Ab-schnitt des Nachmittags. Ein „Spatzenkonzert“ und lustige Kuckucks-Lieder – unter anderem von Antonio Vivaldi (1678-1741) – wurden mit verschmitztem Lächeln und einem kräftigen Augenzwinkern dargeboten, untermalt durch Bilder, die an der Leinwand aufleuchteten.

Voll Blüten

Zwischen den Flötenstücken trug Brigitta Lampert Gedichte vor. Dies geschah mit Lust und Liebe und mit bühnenreifer sprachlicher Ausdruckskraft. Das Werk der zeitgenössi-schen Poetin Brigitte Schoch „Mein Garten“ schaufelte den Weg frei für ein „Frühlings-erwachen im Wald“. Ebenso kraftvoll wie einfühlsam kam Annette Droste von Hülshoff (1797-1848) zur Geltung, die mit hymnisch schwebenden Reimen den Frühling als „die schönste Zeit“ preist. Höhepunkt war dann Hermann Hesse (1877-1962) mit seinem ebenso tiefsinnigen wie weit ausgreifenden Gedicht „Voll Blüten“:

Voll Blüten steht der Pfirsichbaum, nicht jede wird zur Frucht.
Sie schimmern hell wie Rosenschaum durch Blau und Wolkenflucht.
Wie Blüten gehn Gedanken auf, hundert an jedem Tag.
Lass blühen! Lass dem Ding den Lauf! Frag nicht nach dem Ertrag!
Es muss auch Spiel und Unschuld sein und Blumenüberfluss.
Sonst wär die Welt uns viel zu klein und Leben kein Genuss.

Barocke Klangwelten

Nach den literarischen Höhenflügen waren wiederum wdie Blockflöten an der Reihe mit ihrem Zauberklang. Sie entfalteten nicht nur frühlingshafte Leichtigkeit, sondern brillierten auch mit einer klassisch orchestralen Sonate des italienisch-englischen Barockkomponisten und Oboisten Guiseppe Sammartini (1695-1750), eines Zeitgenossen und Londoner Mitarbeiters von Georg Friedrich Händel. Mit perlenden Tonfolgen und feiner Klangmalerei zeigte das Ensemble Sopraltenba, zu welchen Spitzenleistungen es in der Lage ist. Langanhaltender Beifall belohnte die acht Blockflötistinnen für ihren Einsatz.

Mit einem schmackhaften Zviri, organisiert und präsentiert von Hugo Lampert, klang dieser liebenswürdige Nachmittag in einem gemütlichen Miteinander aus. Der nächste Anlass in der Reihe „Kultur am Nachmittag“ ist am 21. Mai, dann kommt Organistin Annedore Neufeld zu einem leutseligen „Zäme Singe“.

Erinnerungen an Dorothee Sölle

Friedensbewegte Mystikerin

Am vergangenen Dienstag ereignete sich im Städtli etwas Besonderes: Brigitta Lampert erinnerte an die weltbekannte Theologin und Dichterin Dorothee Sölle (1929-2003), deren Todestag sich in wenigen Wochen zum 21. Mal jährt. Diese aussergewöhnliche Frau kam im Diessenhofer Evangelischen Kirchgemeindehaus in ganzer Vielfalt und Ausdruckskraft zur Geltung. Mit grossem Einfühlungsvermögen schilderte Brigitta Lampert eine Begegnung mit Frau Sölle in der Kartause Ittingen kurz nach der Jahrtausendwende. Im Rückblick wurde jetzt im Rahmen von «Kultur am Nachmittag» ein leuchtkräftiges Lebensbild jener Weisheitslehrerin aus Hamburg gezeichnet, die auch im bibelbewussten Thurgau nachhaltige Spuren hinterlassen hat. Wie die Referentin ausführte, pflegte Sölle gerade in ihrer friedensbewegten Tatkraft ein reichhaltiges Innenleben, geprägt durch Mystiker wie Teresa von Avila (1515-1582) und Meister Eckhart (1260-1328).

 

Sprachmeisterin

In lebendiger Anschaulichkeit schilderte Brigitta Lampert, welchen Eindruck Sölles Bücher wie etwa „Mystik und Widerstand“ auf sie bis zum heutigen Tag machen. «Zum einen tauche ich beim Lesen in eine wunderbar gestaltete, genaue und sehr bewegende Sprache ein, die das ausdrückt, was mir eigentlich im Innersten bekannt ist, wofür mir aber manchmal die richtigen Worte fehlten». Zum anderen werde sie bei Sölle immer wieder überrascht «mit Gedanken, die ich selber noch nie gedacht habe, die aber doch so klar und nötig sind.» Dadurch werde ihr eigenes Bibelverständnis neu ausgerichtet. Sölle habe sie zu einem «tieferen und ganzheitlicheren Glauben» geführt. Die Hamburger Theologin habe durch ihre ebenso geistreiche wie herzerfrischende Art «das verstaubte Bild von Kirche gründlich ausgemistet».

 

Ehrfurcht vor Mensch und Natur

Lamperts Vortrag im Rahmen von «Kultur am Nachmittag» behandelte jenen Aufbruch in Glaube, Religion und auch Politik, für den Dorothee Sölle mitverantwortlich sei. Sie habe grundsätzlich Partei ergriffen für Leute «im Schatten der westlichen Konsumkultur». Dabei habe sie sich nicht gescheut, den westlichen Neoliberalismus, der die Armen des globalen Ostens und Südens mit Brosamen abspeise, an den Pranger zu stellen. Solche kümmerlichen Almosen würden wie zum Hohn unter dem irreführenden Titel «global fairness» vermarktet, so Sölle in eingespielten Interview-Sequenzen des Schweizer Fernsehens vom 26.10.1997 («Sternstunde Philosophie»). Statt auf den Kapitalismus berufe sie sich auf keinen Geringeren als Jesus Christus. Dieser sei nicht nur innerhalb der Kirche zu finden: «Er lebt auch unter anderem Namen in der Welt, handelt unter anderem Namen in der Welt» – nämlich überall dort, wo Menschen für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

 

Liebevolle Aufmerksamkeit

Ihr Mitgefühl für Mensch und Natur habe Frau Sölle achtsam in die Tat umgesetzt, wie Brigitta Lampert zu berichten wusste. Während jener Zusammenkunft der «Kommission für Frauenanliegen der Evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau» in der Kartause Ittingen 2001 habe sich die streitbare Friedenskämpferin – selbst vierfache Mutter – höchst sensibel um das Baby einer mitwirkenden Musikerin gekümmert. «Ich vergesse niemals, wie Frau Sölle, klein und zart in ihrer Statur, sich über das kleine Menschenkind beugte und mit einem so liebevollen und zärtlichen Blick zu diesem Wesen geredet hat.»

Das Gehörte und Erlebte war Mittelpunkt anschliessender Gespräche bei Kaffee und Kuchen. Als Leiterin von «Kultur am Nachmittag» dankte Tanja Schum der Referentin mit einem Präsent. Mit einer Fülle nachdenklicher Anregungen klang diese Veranstaltung in froher Geselligkeit aus.

Der nächste Anlass in dieser Reihe ist am 20. Februar bei einem «Volkstümlichen Nachmittag mit den Alpstein-Nixen».

Das Morgenrot wecken

Die Stadt und Region Diessenhofen erlebte in der zweiten Kalenderwoche des neuen Jahres etwas Aussergewöhnliches: Unter dem Titel „Das Morgenrot wecken – Hoffen in kritischen Zeiten“ traten in der Stadtkirche sowie in benachbarten Kirchgebäuden und Sälen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf: Stadtpräsident Markus Birk, Schulpräsident Hans-Rudolf Stör, der frühere Gailinger Bürgermeister Heinz Brennenstuhl, die Diessenhofer Kulturbeauftrage Lucia Angela Cavegn, der ehemalige Thurgauer Kirchenratspräsident Wilfried Bührer, Diakonin Karin Schmid, Diakon in Ausbildung Andreas Schlegel sowie Peter Hartmeier, vormals Chefredaktor des Tagesanzeigers. Sie alle taten das zusammen mit Pfarrer Fredy Staub, dem schweizweit bekannten Redner und humorvollen Ratgeber. Aus Jegenstorf BE war er ins Städtli und den umliegenden Bezirk gekommen.

Gott und die Welt

In Podiumsdiskussionen und Reden wurde ein breitgefächerter Ablauf gestaltet; die Themen handelten von Fortschritt und Tradition, Kunst und Kultur, Staat und Kirche, Politik und Gesellschaft, Bildung und Schule, Medien und Musik. Zusammen mit Musikgruppen aus der näheren und weiteren Umgebung wurde in Diessenhofen, Schlatt und Schlattingen ein abwechslungsreiches Abendprogramm präsentiert, das vor lauter Schwung und Freude vibrierte, reichhaltige Spannung und Entspannung lieferte, den Ernst des Lebens nicht verschwieg – und in alledem Gott und die Welt harmonisch miteinander in Beziehung setzte.

Heiterkeit des Daseins

Das von den Vorrednern und in den Podiumsdiskussionen Gesagte nahm Pfarrer Staub in seine Hauptvorträge auf, die er an jedem der sechs Abende an das zahlreich versammelte Publikum richtete. Sein Ziel war es, die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes in ganzer Leuchtkraft vorzustellen. Mit Beispielen, mitten aus dem Alltag gegriffen, erzählte er die volle Bandbreite dessen, was ein Menschenleben ausmachen kann. Vor tragischen Tiefen, die mit dazu gehören, versteckte er sich nicht. Vor allem aber stellte er die Leichtigkeit und Heiterkeit des Daseins in den Mittelpunkt, die durch Gottes helle Gnade erfahrbar wird für alle, die offen sich für diesen wohltuenden Einfluss. Dabei wurde die grossartige Persönlichkeit des Heilandes Jesus Christus ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Ein kräftiger Aufruf erging an die Zuhörerinnen und Zuhörer, sich seinem segensreichen Einfluss nicht zu verschliessen.

Vertiefung durch Alphalive-Abende

Stets gegen Ende seiner Vorträge lud Fredy Staub ein, in meditativer Stille das Gehörte innerlich zu bewegen im eigenen Herzen. Im Anschluss bestand dann die Möglichkeit, sich gruppenweise oder individuell für den weiteren Lebensweg segnen zu lassen. Ein geschmackvoller Apero lud zu Gemeinschaft und Austausch ein und rundete das Ganze im geselligen Miteinander ab. Ein „Alphalive-Kurs“ zur Erwachsenenbildung, der an zehn Donnerstagabenden im Diessenhofer evangelischen Kirchgemeindehaus stattfindet, wird das Erlebte weiter vertiefen.

Aus dem Alltag eines Diessenhofer Glas-Fans

Im Rahmen von „Kultur am Nachmittag“ trat Monika Orsinger am vergangenen Dienstag Nachmittag im evangelischen Kirchgemeindehaus Diessenhofen auf. Über die Faszination, die Glas in der transparenten Brechung von Licht und Farbe verbreitet, machte sie spannende Ausführungen. Sie beleuchtete den geschichtlichen Hintergrund der Glasherstellung im historischen Raum der Schweiz und in den benachbarten Gebieten, etwa im Schwarzwald. Mit liebevoller Hingabe an das Detail erzählte sie, wie das Glas handwerklich gemacht, sorgfältig geblasen, kraftvoll gebrannt, stimmungsvoll gefärbt wird. Eindrucksvoll erläuterte sie jene speziellen Öfen, die zur Bearbeitung notwendig sind. Sie verwies auf die energietechnischen Variationen (natürliches Feuer oder Elektrizität), womit diese Öfen gespeist werden. Breit entfaltete sie die künstlerischen Möglichkeiten, die sich bei der schöpferischen Formgebung des Glases ergeben, und bei den Gravuren, die am Glas angebracht werden können. Anschaulich präsentierte sie eine originelle Sammlung kunstvoller Gläser, Schalen und Gefässe, die sie zum grossen Teil selbst in ihrem Atelier hergestellt hat, darunter farbige Exponate von besonderer Leucht- und Strahlkraft.

Kulturgeschichte des Glases

Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich in gemütlicher Kaffee-Runde ein fruchtbares Gespräch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung. Hierbei wurde das Thema in kulturgeschichtlicher Weise erweitert. Dabei durften Hinweise auf das Vorkommen von Glas in den prophetischen Büchern der Heiligen Schrift nicht fehlen. In ihren eindringlichen, höchst lebendigen Ausführungen griff Monika Orsinger auf einen reichen Erfahrungsschatz zurück, den sie sich in über 20-jähriger Tätigkeit in ihrem „Moglas-Atelier“ an der Diessenhofer Rheinstrasse erarbeitet hat; dort bietet sie Fortbildungskurse für Kinder und Erwachsene an.

Tanja Schum danke der Referentin zum Beschluss mit ebenso launigen wie herzlichen Worten und überreichte ein Präsent der Kirchgemeinde. Der nächste Anlass im Format „Kultur am Nachmittag“ ist am 16. Januar 2024 mit Erinnerungen an die Theologin Dorothee Sölle (1929-2003), dargeboten von Brigitta Lampert; der eigentlich für das Januar-Datum geplante Film „Heidi“ wird zu einem späteren Zeitpunkt vorgeführt.

Religion ist nicht dasselbe wie Aufklärung

Orthodoxe Sichtweisen und ihre Einordnung aus westlicher Sicht

Zum Thema: „Die Kirche und der Krieg in der Ukraine“ fand vergangenen Donnerstag im Evangelischen Kirchgemeindehaus Diessenhofen eine Begegnung mit Pfarrerin Bettina Lichtler statt. Sie ist Ökumenebeauftragte der reformierten Landeskirche im Kanton Zürich. An diesem Abend führte sie in Geschichte und Prägekraft orthodoxer Kirchen ein, verknüpft mit einem Blick auf die religionspolitische Lage in Osteuropa.

Einleitend berichtete sie von guten Kontakten zu verschiedensten orthodoxen Gruppen in Zürich, darunter zu jener Gemeinde, die mit der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) verbunden ist: Hier träfen sich nicht nur Exilrussen, sondern auch weissrussische Gläubige und ukrainische Flüchtlinge zu mehrstündigen liturgischen Feierlichkeiten. Man habe vereinbart: Innerhalb der Gemeinde keine Politik! Dieses Stillhalte-Abkommen ermögliche ein gutes Auskommen. Das zeige sich jedes Jahr bei der Prozession am 10./11. September zu Ehren der Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula – woran orthodoxe Christen aller Schattierungen mit grosser Freude teilnehmen.

Geschichtliche Verzweigungen

Wie Lichtler geschichtlich ausführte, entstand infolge der West-Ost-Kirchenspaltung von 1054 die orthodoxe Kirche byzantinischer Tradition, aus der später verschiedene selbständige, autokephale Nationalkirchen hervorgingen, unter anderem die griechische, serbische, rumänische, bulgarische und russische. Freilich, eine ukrainische Landeskirche im kanonisch gültigen Sinn habe sich bis heute nicht entwickelt: Herkömmlicherweise stünden die ukrainischen Gläubigen unter dem Dach des Moskauer Patriarchats, das eine integrative Funktion im ostslawischen Kulturraum beanspruche. Moskau sei mit diesem Anspruch auf Vormachtstellung auch teilweise als „Drittes Rom“ (nach Rom und Konstantinopel) bezeichnet worden.

Trotzdem würden nicht wenige ukrainische Gemeinden auf ihrer Selbständigkeit („Autokephalie“) pochen, fuhr die Rednerin fort. Sie hätten sich als Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) von Moskau ab- und dem Patriarchen von Konstantinopel (Istanbul) zugewandt, der als gemässigt gelte. Kritisch beäugt von der ukrainischen Staatsführung, unterstünden jedoch Gemeinden der anderen, sogenannten Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) weiterhin der Moskauer geistlichen Leitung. Sie grenzten sich zwar vom russischen Patriarchen Kyrill ab, zumal dieser vermutlich seit Sowjetzeiten mit Wladimir Putin befreundet sei. Aber an ihrer streng konservativen Linie ändere das nichts. Genderthemen würden in der ganzen Orthodoxie als schädlich angesehen. So akzeptierten ukrainisch-orthodoxe Vertreter LGBTQ genausowenig, wie ihre russischen Glaubensgeschwister das tun.

Die Ukrainisch-orthodoxe Kirche (UOK) erstrebe eine eigenständige Position zwischen Ost und West, ohne alle Brücken nach Moskau abzubrechen. Und die russische Christenheit? Sie trete für die Wiedervereinigung der ostslawischen Weggemeinschaft ein. Diese Gemeinschaft sei 988 durch die Taufe des Kiewer Grossfürstenpaares Wladimir und Olga mit nachfolgender Christianisierung Osteuropas für alle künftigen Zeiten gesegnet und zu einer spirituell-politischen Einheit zusammengefügt worden. So jedenfalls die russische Sicht der Dinge. Vorübergehende Trennungen sollten zur Versöhnung führen – unter Moskauer Vorzeichen.

Faszinierende und erschreckende Tradition

Bettina Lichtler erläuterte das Grundprinzip der Orthodoxie, demzufolge die Liturgie, die mit ihrer Farbenpracht und den mehrstimmigen Gesängen beeindruckt, über Jahrtausende hinweg immer gleich ablaufen muss. Und zwar deshalb, weil der Gottesdienst auf Erden als mit dem himmlischen Gottesdienst (der neben den Engeln die Gläubigen aller Zeiten umfasst) verbunden verstanden wird. Darum sollten Gläubige aus dem 21. Jahrhundert mit denselben Worten singen und beten wie Christen aus dem 2. Jahrhundert. Die orthodoxe Liturgie müsse zeitlos sein. Sie könne nicht einfach an moderne Gegebenheiten angepasst werden. Weil orthodoxe Glaubensgemeinschaften sich meist auch als Hüter der traditionellen, aus ihrer Sicht immer gültigen Werte verstünden, lehnten viele den Westen ab, wo Werte als veränderbar gelten und neu interpretiert werden. Aus ihrer Sicht entwickelt sich der Westen in Richtung Versuchung und Sünde. Der russische Patriarch Kyrill gehe so weit, allen Soldaten, die in diesem Krieg gegen den „westlichen Satanismus“ ihr Leben opfern, die Vergebung ihrer Sünden zuzusprechen.

Ökumene und Frieden?

Nach dem Vortrag kam es zu einer nachdenklich machenden Diskussion. Fragen nach Ökumene, Frieden und Gerechtigkeit bewegten die etwa 30 Zuhörerinnen und Zuhörer. Die Rednerin warnte vor einer Verteufelung des Westens wie vor Russophobie. Die Friedensbewegung sei in der aktuellen Situation der Ukraine wenig erfolgreich, weil ein Grossteil des wehrhaften ukrainischen Volkes keinen Frieden mit status quo erstrebe, der ihre Verluste einfach ignoriert.

Bettina Lichtler äusserte sich skeptisch bezüglich einer Vereinigung aller Kirchen: Ebensowenig wie die östlichen könnten die westlichen Konfessionen ihre Prägungen einfach so beiseite legen. Immerhin erscheine eine „Einheit in Verschiedenheit“ als gangbarer Weg. Auf die Frage, welchen Stellenwert eine freiheitliche Zivilreligion in Russland und Osteuropa erringen könne, gab sie zu bedenken: „Religion ist nicht dasselbe wie Aufklärung. Religion ist Gefühl und Intuition – und nicht immer kritisch rational“.

Dieser Abend im Rahmen der „Etwas anderen Erwachsenenbildung“ bot erhellende Einblicke in die fremde und faszinierende Glaubenswelt des europäischen Ostens. Eine Fortsetzung erfolgt am 24. Februar – dem Jahrestag des Kriegsbeginns – mit einem Gedenk- und Gebetsgottesdienst in der Evangelischen Stadtkirche um 18.oo Uhr.

Adventsfenster 2022

Alltagsgedanken mit Tiefen- und Höhensinn

Eine prominente Dichterlesung fand am vergangenen Dienstag 18.10. im Evangelischen Kirchgemeindehaus Diessenhofen statt. Im Rahmen von „Kultur am Nachmittag“ präsentierte Doris Widler – bekannt unter ihrem Künstlernamen Doris Host – eine Fülle sinnstiftendender Alltagsgedanken. Diese entnahm sie jenen sechs Gedichtbänden, die im Laufe dreier Jahrzehnte aus ihrer Feder entstanden sind. Zu Gehör kamen Anekdoten aus der bunten Bandbreite des Daseins. Geschildert wurde das Leben in seiner persönlichen, gemeinschaftlichen und naturgegebenen Vielfalt. Damit traf die Autorin die Erwartungen und den Geschmack des Publikums. Mit humorvoll bewegter, ausdrucksstarker Stimme trug sie ihre dichterisch geformten Gedanken vor, die Heiterkeit, Nachdenklichkeit und kräftigen Beifall auslösten.

Wie auf Erden so im Himmel

Inhaltlich kreisten die Gedichte um ganz normale Vorgänge, aus denen Doris Widler einen tieferen oder höheren Sinn ableitete. Eingangs beschrieb sie den Flug eines Ballons, der zuvor am Boden gelegen hatte und erst in einem langwierigen Vorgang aufgeblasen werden musste. Mit liebevoll aufmerksamem Blick fürs Detail schilderte die Autorin, wie aus einem kümmerlichen Häuflein Stoff über die Zwischenstufe einer rundlichen Schlange sich allmählich jener riesengross prächtige Ball aufgewölbt habe, der dann zu einem herrlichen Rundflug startete – mit ungeahnten Aussichten.

Nach diesem Höhenflug schwenkte die Autorin wieder auf organisatorische Welten um, ohne freilich die höheren Welten aus dem Auge zu verlieren. Sie tat das nach dem Motto: Wie auf Erden so im Himmel. So beschrieb sie terminliche Vereinbarungen im Familien- und Kollegenkreis, die sich steigern bis hinauf zu höchstgestellten Persönlichkeiten wie dem Apostel Petrus: Selbst mit ihm sei ein Termin zu vereinbaren, und zwar deshalb, um den Eingang in den Himmel bewilligt zu bekommen.

Tägliches Wechselspiel im Horizont der Dankbarkeit

Sogar von diesem paradiesischen Höhenflug – so schön er war – ging es wieder hinab, dieses Mal ausgerechnet in die Niederungen moderner Technik. Diese habe beim Gebrauch von Natel und WhatsApp ihre besonderen Tücken, die jedoch mit Humor und tatkräftiger Mithilfe kundiger Familienangehöriger gut und gerne überwunden werden, wie Frau Widler schmunzelnd ausführte. Von einer gestohlenen Minute war alsdann die Rede, die sich erstaunlicherweise zu einer gewonnenen Zeit umwandelt, und von einem Traum, der bei näherem Hinsehen verblüffend genau die eigene Lebenswirklichkeit abspiegelt.

Den Abschluss bildeten jahreszeitliche Betrachtungen über den derzeit goldenen Herbst in seiner Strahlkraft zur Ehre Gottes. Damit wurde der Erzähl-Bogen abgerundet im Dank an den Schöpfer, in dessen Gedanken und Handlungen unser alltägliches Dasein eingebettet ist.

Feinfühliger Einblick und hintersinniger Ausblick

Im hingebungsvollen Hinschauen, meditativen Zuhören und schreibenden Gestalten liegt die Begabung der Autorin. Was sie sinnlich aufnimmt und gedanklich in grosser Zuversicht bewegt, spiegelt sich in dem, was sie niederschreibt und in Buchform veröffentlicht. „Fasziniert und inspiriert vom tieferen Sinn, welcher hinter all den täglichen Kleinigkeiten zu finden ist, versuche ich meinen Gedanken in Gedichten und Prosa eine (be)sinnliche Form zu geben“, sagt sie über sich und ihr Werk. Es seien Nachttisch-Bücher, immer zur Hand, wenn Bedarf bestehe nach einem versöhnlich-tröstlichen Einblick in unsere Welt, wie sie nun einmal ist – und wie sie dann auf höherer Ebene immer wieder neu erfahrbar werden kann.

Natur und Kultur

In Düsseldorf geboren, verbrachte Doris Widler in Büsingen ihre Kindheit und Jugend, um als Erwachsene den Schwerpunkt nach Schaffhausen zu verlegen. Im Hauptberuf war sie als Kauffrau und Katechetin tätig. Seit einigen Jahren ist die Mutter dreier erwachsener Kinder im Städtli beheimatet. Die harmonische Umgebung der Idylle des Hochrheins prägt ihr dichterisches Schaffen – wovon die nachmittägliche Veranstaltung ein beredtes Zeugnis ablegte.

Brigitta Lampert und Edith Lüdi begleiteten den Anlass mit Klavier zu vier Händen und gaben dem Ganzen eine festliche Ausprägung. Bei einem anschließenden Zvieri und angeregten Gesprächen klang diese kulturbewusste Zusammenkunft aus, die von Tanja Schum bestens vorbereitet worden war. Das nächste derartige Treffen ist am 15. November im Evangelischen Gemeindehaus Diessenhofen, und zwar wiederum mit Gedichten und Kurzgeschichten, die dann von Lilo Kottmann vorgetragen werden.

«Von guten Mächten wunderbar geborgen»

So heisst es im berühmt gewordenen Gedicht des deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Er schrieb es 1944 während seiner Haft in Deutschland im zweiten Weltkrieg.  Als NS-Widerstandskämpfer wurde er ein Jahr später hingerichtet. Dieser Entstehungshintergrund lässt seine Zeilen nochmals viel tiefer zu Herzen gehen. Wer war dieser Mann und was trieb ihn an?

Dieser Frage gingen am letzten Freitagabend 15 Personen an einem interaktiv gestalteten Erwachsenenbildungsabend der evangelischen Kirchgemeinde Diessenhofen unter der Leitung von David Jäggi nach. Mit Text- und Filmausschnitten, Büchern, Bildern, Gedanken von David Jäggi und gemeinsamem Austausch wurden zahlreiche Schätze entdeckt. Was immer wieder deutlich wurde: Bonhoeffer konnte sein geistliches Leben mit seinem aktiven Wirken in der Welt aufs Engste verbinden. Eine ganzheitlich gelebte Gottesbeziehung, die in tiefsten Krisen trug und auch heute noch zur Nachahmung inspiriert.

Text Florian Aeberhardt. Bild Thomas Russenberger.

«Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben»

Weltgebetstag vom Freitag 4. März in Schlattingen

Rund dreissig Personen aus der Region feierten in der «Very British» geschmückten Kirche zeitgleich mit den sieben Regionen der Erde einen eindrücklichen Weltgebetstags-Gottesdienst. Die Verfasserinnen der Liturgie kamen dieses Jahr aus England, Wales und Nordirland. Ihnen war es wichtig, die Aufmerksamkeit auf ein umfassendes Gottesbild zu lenken, ein Gottesverständnis jenseits des Geschlechts. Darum wurde stets die Anrede «Gott, unsere Mutter und unser Vater» verwendet.

Die stimmungsvollen Lieder teils in Englisch, teils in Deutsch, untermalten die Thematik des Abends, einerseits beschrieben von Jeremia, das Volk Israel im Exil in Babylon und andererseits die aktuellen Probleme unserer Zeit. Zentral blieben dabei stets die kraft- und segensreichen Worte Gottes «Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben». Eine tröstende und stärkende Zusage, welche gerade in unserer krisengeprägten Zeit Mut macht aktiv zu sein, zu handeln, zusammen zu stehen und einander gegenseitig zu unterstützen.

Désirée Eicher-Uehlinger

Wenn der Glaube aus der Kirche ins Internet wandert

Digitale Horizonte in Diessenhofen

Eine faszinierend weite Welt tat sich inmitten des Städtli auf, als Dave Jäggi, Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche EMK, religiöse Internet-Angebote präsentierte. Dies geschah am Abend des 04. November in der Begegnungsstätte VENUE im Rahmen der „Etwas anderen Erwachsenenbildung“ der Evangelischen Kirchgemeinde Diessenhofen unter der Frage: „Eignet sich das Internet für Spiritualität? Kann es Gemeinschaft aufbauen?“ Eine Fülle von Predigten, Gesprächen und Gebeten wurde online präsentiert. Passend dazu lieferte der Redner geistreiche und unterhaltsame Ratschläge für das Verlassen eingefahrener Gleise und den Empfang frischer Impulse.

Freude am Experimentieren

Auf elektronischem Wege könne jeder seine individuell angemessene Ausdrucksform des Glaubens zusammenstellen, so Jäggi. Die Möglichkeiten des Internet kämen experimentierfreudigen Leuten des 21. Jahrhunderts entgegen. Der zeitgenössische Mensch liebe es, überraschende Perspektiven wahrzunehmen und ungewohnte Methoden des Sehens und Bewertens auszuprobieren. Genau diese Chance biete das neue Medium, aber „womöglich aus einer Ecke, von wo wir es nicht erwartet haben.“ Kirche und Religion würden vom örtlich begrenzten Wirkungskreis in eine weltweit vernetzte Freiheit verwandelt. Doch stünden die medial breitgefächerten Formate nicht im Widerspruch zu regionalen Angeboten, sondern ergänzten und erweiterten diese, wie der Referent einer wissbegierigen Runde von Kirchbürgern darlegte.

Vernetzte Spiritualität

„Leben bedeutet Vernetzung“, unterstrich Jäggi. Je weiter und intensiver diese Vernetzung ausgeprägt sei, desto umfassender und tiefer sei ihre Lebendigkeit. Das Internet könne als Gerüst verstanden werden für ein „die Welt umspannendes und vereinendes Netzwerk der alles verbindenden Liebe“, erläuterte er mit Bezug auf Benediktiner-Mönch David Steindl. Hierbei komme „Spiritualität“ ins Spiel. Dieser Ausdruck sei abgeleitet vom lateinischen Wort spiritus = Lebensatem. Spiritualität bedeute also ihrem Namen nach „Lebendigkeit“. Genau diese spirituelle Lebendigkeit werde im Internet weltweit ausgebreitet, aber zugleich individuell verfeinert. Daher könne das Internet sogar selbst als „spirituelle Erscheinung“ bezeichnet werden.

Bei allem Optimismus über das neue Medium wurde nicht verschwiegen, dass sämtliche Dinge im Internet gespiegelt und gesteigert werden – die positiven wie die negativen. Wer sich seiner christlichen Verantwortung bewusst sei, konzentriere sich ausschliesslich auf die guten Möglichkeiten der digitalen Welt.

Breite Palette der Angebote

Dave Jäggi führte zahlreiche Webseiten vor, die eine universelle Begegnung ermöglichen im Geiste eines dynamischen, fein ausdifferenzierten, toleranten und grosszügigen Christentums. Die Bandbreite reichte von witzigen Cartoons über knallige Theaterszenen, humorvolle Spezialfragen der Bibel, kritisch-bissige Streitgespräche, warmherzig-tröstliche Predigten bis hin zur genauen Anleitung täglicher wiederkehrender Gebetszeiten. Genannt wurden z. B. die Webseiten und Podcasts Reflab.ch, unter Pfarrerstöchtern, hossa-talk.de, wort-und-fleisch.de, worthaus.org, youtube.com:EMK Schwarzenberg, dasbibelprojekt.visiomedia.org, sola-gratia.ch, feinschwarz.net, XRCS und netzkloster.ch

An den Vortrag schloss sich eine angeregte Diskussion an, die die Eindrücke des Abends abrundete. Die nächste Veranstaltung dieser Reihe ist am 26. Januar 2022 um 19.30 in der Stadtkirche zu dem Thema „Leben bis zuletzt und in Frieden sterben – Autonomie und Abhängigkeit, Würde und Selbstverantwortung“ mit Dr. Matthias Mettner (Arbon/Zürich), Studienleiter von „Palliative Care und Organisationsethik“ sowie Programmleiter des Forums „Gesundheit und Medizin“.

 

Die Stadtkirche im Spiegel der Jahrhunderte

Mittelalterliche Frühzeit

Vergangenen Samstag nachmittag trug Hansueli Ruch in der Diessenhofer Stadtkirche die Geschichte dieses Gotteshauses vor. Eindringlich schilderte er die bescheidenen baulichen Anfänge 757 unter Federführung des Klosters St. Gallen sowie die Weihe zu Ehren des französischen Heiligen und Pariser Bischofs Dionysius, der um 250 den Märtyrertod erlitten hatte. Sodann berichtete der Referent von umfangreichen mittelalterlichen Um- und Neubauten während der Ära der Kyburger und Habsburger, als nach dem verheerenden Stadtbrand von 1371 und dem nachfolgendem Wiederaufbau die Stadtkirche fast bis zur heutigen Größe ausgeweitet wurde.

Zwei Gemeinden unter einem Dach

Anhand grossformatiger Bilder, auf der Leinwand eingeblendet, bekamen die Teilnehmer eine lebendige Vorstellung von vergangenen Zeiten und ihrer Auswirkung auf die Gegenwart. Besonders im Mittelpunkt stand die viereinhalb Jahrhunderte währende gemischtkonfessionelle Nutzung des Gotteshauses. Humorvoll wies der Redner auf zwei Problemfälle hin, die bis heute für Gesprächsstoff sorgen: So habe es kurz nach dem Übertritt eines Teils der Diessenhofer Bürger zur Reformation (1529) den Vorfall gegeben, dass Darstellungen der zwölf Apostel, katholischerseits an Wänden des Chors aufgemalt, von reformierten Heissspornen zerkratzt und entstellt wurden. Sie sahen in den Heiligenbildern offenbar nur Götzendienst, anstatt sich über künstlerische Details zu freuen.

Fahnen und Schwerter

Das andere Konfliktbeispiel, das Herr Ruch anführte, stammt aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Damals hätten katholische Diessenhofer Bürger den Chorraum so dicht mit Fahnen zugestellt, dass der evangelische Pfarrer kaum noch seinen Weg zur Kanzel habe bahnen können. Dermassen von religiösen Textilien eingehüllt, sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als seine reformatorische Predigt inmitten katholischer Farben und Symbole zu halten. Dieser Missstand habe den städtischen Arzt Georg Michael Wepfer (1591-1659) auf die Palme gebracht. Während einer Anhörung zur Streitschlichtung habe er kurz entschlossen sein Schwert ergriffen und die Fahnen mitten hindurch zerteilt. Infolge dieser Störung des konfessionellen Friedens sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als das Städtli zu verlassen und in Schaffhausen eine neue Praxis zu eröffnen. Sein Sohn war der in der Medizingeschichte zu einiger Berühmtheit gelangte Johann Jakob Wepfer (1620-1695), an den ein Schaffhauser Strassenname erinnert.

Raumgefühl im Kirchenschiff

Breiten Raum nahm die innenarchitektonische Darstellung ein. Das Kirchenschiff sei seit dem ausgehenden Mittelalter von einem wuchtigen Lettner vom Chorraum getrennt gewesen. 1838-1839 sei die Decke zu einem hohen Spitzbogen aufgewölbt worden. In Verbindung mit einem teilweise schwachen Lichteinfall sei dadurch eine geheimnisvoll mystische Stimmung – ähnlich wie in einer gotischen Kathedrale – erzeugt worden, die erst durch den Umbau von 1968-1970 mit Einzug einer hölzernen Kasettendecke in ein helles, weites Raumgefühl umgewandelt worden sei. In den 1960er Jahren sei es zur schiedlich-friedlichen, räumlichen Trennung beider Kirchgemeinden gekommen, weil die katholische Seite einen eigenen Neubau anstrebte und verwirklichte. Die letzte Renovierung 2016-2017 habe für die Stadtkirche eine Bestlösung noch anstehender Restprobleme erbracht.

Die wissbegierigen Besucherinnen und Besucher freuten sich über einen anregenden Nachmittag mit Hansueli Ruch, der aktives Mitglied der Kirchgemeinde ist und sich insbesondere im Archivwesen einen Namen gemacht hat.

Diese Veranstaltung im Rahmen einer „Etwas anderen Erwachsenenbildung“ wurde von Kirchenvorsteher Thomas Russenberger organisiert. Die nächste Veranstaltung dieser Reihe ist die Pilgerwanderung „Von der Höll zum Paradies“, die unter der Leitung von Brigitta Lampert am 8. Mai um 14.oo an der Stadtkirche angeboten mit.

Mitarbeiterabend

  Mit einem erlebnisreichen und unterhaltsamen Abend bedankte sich die evangelische Kirchgemeinde bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Krippenmuseum in Stein am Rhein. Über 600 Krippen aus 80 Ländern konnten unter kundiger Führung bestaunt und bewundert werden.

Jede Krippendarstellung ist ein Unikat und zeugt von grosser Handwerkskunst im Ausdruck der jeweiligen Herkunft.

Dieser Besuch im Krippenmuseum nach Ostern war ganz speziell und verband das Kommen von Gott zu uns Menschen und in unser Leben hinein mit der Verheissung der Auferstehung und das ewige Leben.

Eindrucksvolle Tage mit Pfarrer Dr. Theo Lehmann

Denkwürdige Diessenhofer Tage

(von Pfarrer Gottfried Spieth)

Ein wortgewaltiger Prediger und Mitgestalter des jugendbewegten Aufbruchs in der damaligen DDR gastierte letztes Wochenende in Diessenhofen: Theo Lehmann. Seine Auftritte vom 28. bis 30. September in der vollbesetzten Stadtkirche werden weiterwirken. Sein Lied von der Liebe Gottes, die die Kälte aus den Herzen herausnimmt und rohe Fäuste in Hände verwandelt, wurde an den Abenden gesungen, und es wird weiterklingen. Es ist eines von über hundert Songs, die Lehmann getextet hat. Noch sitzt er ruhig an seinem Platz, gelegentlich huscht ein stilles Lächeln über sein Gesicht. Doch kaum hat er die Kanzel bestiegen, geht er ganz aus sich heraus und löst einen heilsamen Schrecken in den Köpfen und Herzen aus. Sein Thema ist der Mensch, dem es gleichgültig ist, wo er die Ewigkeit verbringen wird – und der aus dem Schlaf seiner Sünden wachgerüttelt werden muss, damit er gerettet werden kann. Die Kernfrage lautet: Verlierst du den Himmel, oder gewinnst du ihn?
Dann prangert Lehmann verweichlichte Christen und verweltlichte Kirchen an, die ihre Kernbotschaft nicht mehr an den Mann oder an die Frau bringen. Und er fragt, ob wir in Europa bereit und in der Lage sind, eine künftige Verfolgung durchzustehen. In Bezug darauf schildert er eigene Erfahrungen unter dem kommunistischen Regime, das zahlreiche Spitzel auf ihn angesetzt hatte und ihm das Leben in jeder erdenklichen Weise schwer machte. Nachdrücklich setzt sich Lehmann dafür ein, dass Christen auch heute wieder die Fähigkeit erlernen, ihren Glauben unter Druck und Anfeindung auszuüben.
Mit grossem Eifer vertritt er sein Anliegen, gewürzt mit einem Schuss Ironie. Wenn er seine markanten und humorvollen Signale sendet, charmant dargeboten in sächsisch gefärbtem Deutsch, geht ein Raunen durch die Hörerschaft. Dieser volkstümliche Redner übt eine eigenartige Anziehungskraft aus, obwohl er immer wieder kräftig austeilt. Zum Beispiel wirft er einer spassbetonten Jugend- und Konfirmandenarbeit vor, dem Ernst des Lebens nicht gerecht zu werden. Was er sagt, steht quer zu den üblichen Sonntagspredigten mit ihrem wohltemperierten, auf Mass und Mitte getrimmten Ton.

Prophetische Stimme

Dieser Theologe aus dem Osten pflegt nicht den Dialog am runden Tisch. Sein Ziel ist nicht der friedvolle Ausgleich der Kulturen und Religionen. Stattdessen erfolgen Seitenhiebe auf die tonangebenden Kreise in Gesellschaft und Kirche. Sie klagt er an, ihren Auftrag vernachlässigt und verwässert zu haben. Eine scharfe Attacke reitet er gegen deutsche Bischöfe, die ihre Brustkreuze abnahmen, als sie im Heiligen Land den Tempelberg bestiegen. Gegenüber Freund und Feind verteidigt Lehmann den überlieferten Wahrheitsanspruch von Jesus Christus.
Was dieser Jesus in Johannes 6,67 seine Jünger fragt, das macht der Prediger aus Sachsen zum Thema seiner Diessenhofer Schlusspredigt: „Wollt ihr auch weggehen?“ In dieser Frage steckt, so Lehmann, ein Programm und eine selbstbewusste Haltung. Jesus weiss, was er will und was er nicht will. Seine Forderungen ermässigt er nicht, obwohl einige Hörer bedenklich mit dem Kopf wackeln. Er hat es nicht nötig, sich zu entschuldigen, weil er etwa zu weit gegangen wäre. Er kann es sich sogar leisten, die eigenen Leute ziehen zu lassen, wenn sie nicht auf seine Vorgaben eingehen. Er läuft ihnen nicht nach. Er braucht sie nicht, sie brauchen ihn.
Das ist eben kein Semmel-Jesus, der zum Frühstück ein paar Gipfeli liefert. Sondern ein König mit Hoheit und Würde. Und der braucht nicht um Zustimmung betteln. Der braucht nicht um die Gunst von Wählerstimmen buhlen. Der hat keine Angst vor dem Urteil des Publikums. Der nimmt nichts zurück und gibt nicht nach, wenn jemand versucht, die Gnade verbilligt zu bekommen. Denn diese Gnade ist teuer, und sie bleibt teuer. Und sie hat Grenzen. Der Zugang zu dieser Gnade ist an eine Bedingung geknüpft. Was ist die Voraussetzung, um sie zu bekommen? Der Glaube. Das persönliche Vertrauen zu ebendiesem Jesus. Und das kostet. Das ist anspruchsvoll. Das setzt eine Entscheidung voraus. Das erfordert den Einsatz des Willens. Das braucht keine Rückversicherung bei der Mehrheitsmeinung, sondern Abstand von allen Formen des Halbglaubens und Unglaubens. Das schafft die Befreiung aus einem Meer von Unverbindlichkeit und Beliebigkeit.

Rückblick und Ausblick

Bald ist es dreissig Jahre her, dass der Eiserne Vorhang gefallen ist, und Theo Lehmann zieht Bilanz. Dankbar ist er für den Zugewinn an persönlicher Freiheit, der sich seit der Wende europaweit entwickelt hat. Gar nicht dankbar ist er für den Verlust an Sicherheit seit 2015, als eine mehr oder weniger unkontrollierte Zuwanderung zugelassen wurde. Dabei begrüsst Lehmann jede Tat der Nächstenliebe, sei sie nun auf nahe oder ferne Menschen gerichtet. Diese alle seien angewiesen auf das Evangelium, das sie rettet. Was er hingegen ablehnt, ist eine schrankenlose Barmherzigkeit, die sich staatliche Organe auf ihre Fahnen schreiben – und mit dieser Begründung dann Grenzen öffnen und jeden hereinlassen, wer es auch sein mag. Eine solche Willkommenskultur habe zwar einen moralisch hochwertigen Anspruch, sei aber in der Wirklichkeit nicht umsetzbar, weil sie im Grunde genommen schwärmerisch und utopisch sei. Das Gebot der Barmherzigkeit könne und dürfe den rechtsstaatlichen Grenzschutz nicht aushebeln.
Lehmann hat an diesen Diessenhofer Begegnungstagen Akzente gesetzt, die ungewöhnlich sind und von Vertretern der Kirche selten geäussert werden. Er hat kräftigen Gegenwind zum Zeitgeist entfacht, aber noch mehr Rückenwind erzeugt für diejenigen, die mit Ernst Christen sein wollen. Was er uns ins Stammbuch geschrieben hat, gleicht einer äusserst kritischen Nachbetrachtung zum letztjährigen Reformationsjubiläum, das allzu sehr auf die Bedürfnisse des modernen Menschen zugeschnitten war. Zugleich ist es eine eindringliche Mahnung an alle Thurgauer evangelischen Kirchgemeinden, dass sie das bevorstehende 150-jährige Jubiläum unserer beiden Landeskirchen im Geist eines unverkürzten und unverstellten Evangeliums feiern.