Fest der Menschheit
Wir feiern bald. Für viele von uns ist das der Geburtstag des wichtigsten Menschen der Geschichte. In ihm verehren wir den Welterlöser. Für ebenso viele von uns ist es das Fest der Familie. Kerzen, Lieder, Lichterketten, Tannenbäume schmücken unser Miteinander. Sie unterfüttern den Zusammenhalt, den wir geniessen am Untersee und Rhein. In dieses Lebensgefühl passt Weihnachten wie der Schlüssel zum Schloss.
Schlüsselmacher
Obwohl dieses Fest zunehmend bürgerlich und weltlich wird, hat es einen religiösen Ursprung. Es geht um den Schlüsselmacher. An Weihnachten schliesst er Tore auf. Jetzt ist der Durchgang frei: Der Himmel ist ebenso offen für die Erde, wie die Erde offen für den Himmel ist. An diesem Tag schafft Gott die eine ungeteilte Welt.
Warum macht er das? Geht es ihm ähnlich wie uns? Geselligkeit und Familiensinn suchen wir. Über unseren Schatten springen wir. Das tun wir, um schwierige Beziehungen zu retten. Gott macht es noch besser. Das geht so weit, dass er um des lieben Friedens willen seinen Wohnort wechselt. Und zu uns zügelt. Aus seiner unendlichen Höhe eilt er herab. In unserer Mitte schlägt er sein Zelt auf. Nicht nur in Bethlehem wohnt er. Sondern auch am Untersee und Rhein, in den Städten und Dörfern dieser wunderschönen Kulturlandschaft.
Körperwelten
Was ist der tiefere Grund, warum er das macht? Freien Zugang will er. Menschlich und weltlich will er sein. Mitsamt allen Höhen und Tiefen. Die schönen Dinge des irdischen Daseins erfährt er am eigenen Leibe, aber auch unsere normalen Sachen bis hin zu den schwierigsten Problemen: Alles teilt er mit uns. Unsere Art und Weise des Denkens, Fühlens, Sprechens und Hörens macht er sich zu eigen. Unser Körpergefühl geniesst er in vollen Zügen. „Das Wort ward Fleisch“, sagt die Bibel dazu in ihrer drastischen Sprache. Oder um es krass auf den Punkt zu bringen: Gott wird ein menschlicher Körper.
Das läuft über vier adventliche Stufen und gipfelt im 25. Dezember. Das ist der Tag aller Tage. Das ist die menschliche Geburt des göttlichen Sohnes. Wo? In der Nachbarschaft von Ochsen, Eseln, Schafen, Engeln, Königen, Hirten. In der Nachbarschaft von Konstanz, Kreuzlingen, Ermatingen, Arenenberg, Steckborn, Eschenz, Stein am Rhein, Diessenhofen, Schaffhausen. Gottes Sohn gehört der Bodensee mit Untersee und Rhein. Sein ist die ganze Welt.
Fortschritt
Am 25. Dezember wird weltweit der Heiland in der Futterkrippe gefeiert. Was für ein Fanal der Völkerfreundschaft ist das! Das göttliche Kind, unter bescheidensten Umständen geboren, löst eine Neubewertung aller Dinge aus. Weihnachten ist der Startschuss für die Befreiung gemobbter Leute. Das zielt auf eine gerechte Verteilung der Rechte und Pflichten nach dem Motto: Jeder nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seiner Leistung. Dieser Festtag ist der Anfang einer schwierigen, von Rückschlägen geplagten, aber zielführenden Weltentwicklung.
Dieses Fest hat vielfach mitgeholfen, Streit zu verringern. Aber bringt es auch unser aller Gleichheit und Freiheit zur Geltung? Kann es Schwachstellen unserer Zivilgesellschaft heilen? Schrägstellen ausbalancieren? Ungerechtigkeit ausgleichen? Ja, Tore werden geöffnet und steinige Strassen geebnet. Das Eis schmilzt. Emotional sind wir nicht mehr so weit auseinander, wie wir es auch schon waren. Achtsam fühlen wir uns in Gott und sein Wort ein. In Solidarität treffen wir uns mit unseren lieben – oder auch nicht so lieben – Mitmenschen. Das ist der Segen dieses Festes.
Türöffner
Gott und sein Sohn schaffen diesen Segen. Sie sind Meister der Kommunikation. Nichts tun sie lieber, als gute Dialoge zu führen. Gott und sein Sohn haben ein inniges Bedürfnis nach Geselligkeit. Und das übertragen sie auf uns. Wer auch immer den neugeborenen Jesus besucht, taucht in das Bad seiner liebenswürdigen Gemeinschaft ein. An seiner Krippe sind wir miteinander vereint im Denken, Fühlen, Handeln. Unser übertriebener Individualismus wird leise aufgelöst. Langsam, aber sicher. Das Ich-Gefängnis der Angst bricht entzwei. Das Schneckenhaus, das das wir flüchteten, platzt.
So viel freie Luft zum Atmen hatten wir nie. Jetzt ist er da, der Duft der schönen neuen Welt, die das Christkind schafft. Sein Geburtstag bringt die Wende. Grenzen werden aufgemacht, Barrieren gesprengt, Schlagbäume sind nicht mehr nötig, denn Himmel und Erde werden eins. Diese Entwicklung ist seit Jesu Geburt unumkehrbar. Deshalb gibt es bald keine trennenden und störenden Elemente mehr auf Erden.
Was für eine Verheissung ist das! Sie wird eingelöst, sobald es an der Zeit ist. Gott ist der Schlüsselmacher dieser neuen Zeit. Sein Sohn ist Türöffner und Bahnbrecher der Freiheit. Sein Geburtstag ist das Schlüsselereignis. Oder wie es im Lied heisst: „Heut schliesst er wieder auf die Tür zum schönen Paradies; der Kerub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis.“
In diesem Sinne wünscht Ihnen ein segensreiches Christfest
Ihr Gottfried Spieth, evangelisches Pfarramt Diessenhofen