Andacht zu Ostern

Diessenhofer Osterpredigt 2020

Petrus aber stand auf, eilte zum Grab und ging in das Grab hinein. Er sieht die Leinenbinden daliegen und das Schweisstuch, das auf Jesu Haupt gelegen hatte; es lag nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengerollt an einem Ort für sich. Und er ging nach Hause, voller Verwunderung über das, was geschehen war. 

Lukas 24,12 ǀ Johannes 20,6.7

Was für seltsame Tage sind das! Seit Kriegszeiten hat es ein solches Osterdatum nicht mehr gegeben. Was für ein eintöniges Einerlei ist das doch, worin wir gefangen sind …  Bietet das Fest wenig­stens etwas Ab­wechslung? Oder ist die Osterfreude ein Wundermittel, das wir ein­nehmen – und gleich geht es besser?

Vorsicht. Mit Wundern ist das so eine Sache. Lieber stehen wir auf der sicheren Seite. Verlassen uns auf etwas Handfestes. Also auf das, was man an­pa­cken und berech­nen kann. Selber rechnen wir uns wohl allermeist zu den Tatsa­chen­­menschen und haben ein sachli­ches Ver­hältnis zu den Dingen. Dagegen die Oster­berichte im neuen Testa­ment – sind sie nicht seltsam unwirklich? Fast zu schön, um wahr zu sein?

Und doch! Gibt es in diesen Berichten nicht ein gewisses Etwas, das aufhorchen lässt? Männer und Frauen pilgern an den Ort, da Jesus begraben wurde. Einer der ­Besucher will genau wissen, was los ist. Es ist Petrus. Auch er ist ein Tatsachen­mensch. Deshalb steigt er in das Felsen­grab hinein. Inspiziert den Innenraum. Und was sieht er? Nichts! Aber halt – war da nicht doch etwas? Genau! Die Lein­tücher, mit denen der Tote eingewickelt war: Hier auf dieser Seite liegen sie. Und auf der anderen Seite? Da ist das Schweisstuch, mit dem das Haupt des Toten verhüllt war. Alles ordent­lich zusam­men­gelegt. Alles fein und präzise zu­sam­mengerollt. Jedes Ding an seinem Platz. Wie es sein muss. Was für ein sauberes, klares Bild inmitten der ansonsten düsteren Grabeshöhle!

Petrus macht sich so seine Gedanken. Schon merkwürdig: Der Verstorbene ist ver­schwun­den. Aber irgend jemand hat offenbar in aller Seelenruhe und äusserst akkurat „das Bett gemacht“. Wer mag das gewesen sein? Ein Grabräuber? Kaum. Der hätte wohl nur ein wirres Gewühle hinterlassen. Und dann denkt Petrus das bisher Undenkbare: Ob schlussendlich der Verstor­bene selbst der Aufräumer im eigenen Grab gewesen ist? Ob Jesus, als er aus dem Tod erwachte und neue Leibeskräfte in sich spürte, selber diese Tex­ti­lien zusammen­faltete und ablegte, bevor er seine Ruhestätte verliess – im Aufbruch zu neuen Taten?

Je länger Petrus auf dem Heimweg nachdenkt, desto wahrscheinlicher erscheint ihm diese Erklä­rung. Denn dass Jesus im eigenen Grab für Ordnung sorgte – das passt zu seiner zu­pa­cken­­den Art. Schon während seiner beruflichen Karriere als Zimmer­mann und Bau­meister wurde das überdeut­lich. Auch später in seinen Wanderjahren kümmerte sich Jesus engagiert um die Details: Angefangen von der Sorge um das leibliche Wohl seiner Zuhörer, deren Zahl oft in die Tausende ging, über die generalstabsmässige Planung seines Einzugs in Jeru­salem an Palm­sonntag – bis hin zur Fürsorge für seine Mutter. Ihre Betreuung hat er mit letztem Einsatz organisiert. Und zwar im Zusammenhang mit seinem tragischen Ende am Kreuz.

Und wie schaut es nach seiner Auferstehung aus? Wenn nicht alles täuscht, geht es danach in derselben Weise weiter. Jesus hat alles auf dem Radar, denkt an alles, ange­fan­gen vom ordentlichen Verlassen seines Grabes bis hin zu den Fischen, die er brät am Ufer des Sees Genezareth. Hier lädt er seine Jünger zum Frühstück ein (Johannes 21,9-14). Kein Ding ist ihm unwesentlich. Was er anpackt, macht Sinn. Alles ist zweckmässig aufbereitet.

Was bedeutet das für uns an Ostern 2020? Dieses Fest hat eine wunderbare und ebenso praktische Seite. An Ostern wird das Tor zu unserer paradiesischen Zukunft aufgeschlossen. Ostern liefert aber auch den Schlüssel für unser Hier und Heute.

Denn hier und heute brauchen wir einen, „der mit uns geht, der´s Leben kennt, der mich versteht, der auch im Schweren zu mir steht, der in den dunklen Stunden mir verbunden, der mich zu allen Zeiten kann geleiten ….“ Und weiter heisst es in diesem Lied: „Sie nennen ihn den Herren Christ, der durch den Tod gegangen ist. Er will durch Leid und Freuden mich geleiten – ich möcht, dass er auch mit mir geht.“

Dieser Herr Christus weiss sehr wohl, dass wir – im Unterschied zu ihm – zunächst noch hier auf dieser Erde festsitzen. Dass wir hier und heute unse­ren Mann und unsere Frau stehen müssen. Deshalb ruft er uns zu: Seht her, ich habe den schlimmsten Feind besiegt, den es gibt – den Tod. Wenn ich das geschafft habe, werde ich doch auch mit euren Pro­ble­men fertig, die sich hier und heute auftürmen? Ich, der Auferstan­dene, bin mir ja nicht zu schade, mich selbst um Leintücher und Textilien zu kümmern. Umso mehr begleite ich euch in euren täglichen Abläufen: Wenn ihr aufsteht. Wenn ihr euch zum Frühstück hinsetzt. Wenn ihr an die Arbeit geht. Wenn ihr damit immer wieder viel zu früh fertig seid, weil es derzeit eben nicht viel Arbeit gibt. Ich bin bei euch, wenn ihr euch langweilt und euch die Decke auf den Kopf fällt. Ich bin bei euch, wenn ihr aufbrecht zu einsamen Spaziergängen. Und wenn ihr euch abends schlafen legt. Und vielleicht nicht einschlafen könnt …

Nichts ist zu gross – ich umfasse es, sagt der Auferstandene. Nichts ist zu klein – ich küm­mere mich darum. Wie ich das Leben in seiner ganzen Bandbreite durchschrit­ten habe, so bin ich bei euch in der Länge und Breite eurer Tage. Ja, ich kümmere mich um eure Einzel­heiten. Ja, ich mache euch Mut zum Frühjahrs­putz. Ja, ich helfe euch beim Auf­räumen und Ausmisten eurer Häuser, Kammern, Stuben, Estriche, Keller und Gärten.

Und vor allem: Ich schaffe Ordnung in euren Köpfen und Herzen. Ich gehe mit euch in die dunklen Ecken und Verstecke eures Lebens­hauses, wo noch viel Schmutz und Unrat herum­liegt. Ich helfe euch beim moralischen Saubermachen. Ich zeige euch die höhere Ordnung, die in der oberen Welt meines Vaters herrscht. Orientiert euch an diesem Vorbild! Dann bekommt ihr den Kopf frei. Ihr wollt doch Christen sein? Ihr heisst nach meinem Namen? Also führt ein geordnetes, zielgerich­tetes Leben, das meiner Auferstehung würdig ist.    Christ sein heisst klar sein!

Auf diese oder ähnliche Weise könnte Jesus Christus zu unseren Herzen und Gewissen sprechen an diesen Ostertagen. Und wir könnten vielleicht folgende Antwort finden im Gebet …

Herr Jesus Christus! Deine Auferstehung ist voller Geheimnisse und Wunder – und setzt ungeahnte Kräfte frei im Hier und Heute. Deine Auferstehungskräfte kommen uns besonders in diesen stillen Tagen und Wochen zugute. In dieser Stille hören, spüren und sehen wir mehr als sonst. Das schafft ungeahnte Freiräume. Wir bitten dich: Deine Auferstehung gebe uns den Mut, dass wir klar Schiff machen. Und unser Leben auf die Reihe kriegen. Du gehst mit gutem Beispiel voran. Dir folgen wir in einer möglichst hellen, klaren Gesinnung. Und in einer möglichst festen Haltung des Glaubens. Dann erreichen wir auch die höheren Ziele, zu denen du uns berufen hast. Danke für deine treue und sensible Wegbegleitung jeden Tag. Amen.

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Andacht zum Palmsonntag 2020

Täusche ich mich? Sehe ich recht oder nicht? Blicke ich nach draussen auf die Strassen im Städtli, kommt es mir vor, als sei jeder für sich selbst unterwegs. Ist es nicht so: Jeder erprobt seine eigene, auf sich selbst zugeschnittene Rolle? Ja, jeder sucht sich seine Route durch das Labyrinth des Daseins. Jeder bahnt sich seine ganz persönliche Strasse durch diese schwierigen Wochen. Und warum ist das so? Wir nehmen eine Auszeit vom normalen und geschäftigen Leben. Wir tun das nicht gerade gern. Sondern aus Einsicht in eine höhere Notwendigkeit. Also ob wir wollen oder nicht: Jeder ist mehr oder weniger auf sich gestellt, oder allenfalls auf seinen kleinsten Familienkreis beschränkt. Und jeder einzelne hofft, dass er schlussendlich an ein gutes Ziel kommt. Wenn es dann soweit ist, freuen wir uns umso lebendiger, umso kraftvoller – und vor allem: Wir tun das dann zusammen!

Noch ist nicht soweit. Noch sind wir zwar nicht eingesperrt in die eigenen vier Wände, aber doch gebunden und gefesselt an unsere einsamen Wege. Noch müssen wir diesen Druck und diese Spannung ertragen. Die meisten von uns verhalten sich so besonnen, so gut es irgend geht. Freilich, manch einem fällt fast schon die Decke auf den Kopf. Besonders unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger haben es unendlich schwer. Für sie bedeuten diese Tage und Wochen eine grosse, kraftraubende Anstrengung.

Uns allen wünsche ich, dass wir diese Herausforderung bestehen. Uns allen wünsche ich, dass wir die soziale Trennung durchhalten, so gut es geht und solange es nötig ist. Uns allen wünsche ich, dass wir die einsamen Wege – wenn wir sie schon gehen müssen – dann auch innerlich bejahen. Genau wie Jesus von Nazareth es getan hat. Oft war er mehr oder weniger allein, musste er sich selbst seinen Weg bahnen, abgetrennt vom Strom des pulsierenden Lebens. Dann zog er sich zurück auf einsame Berge. Oder in die Steppen und Wüsten. Da war er dann allein mit seinem Gott und Vater, den er auch in der grössten Stille nie aus den Augen verlor.

Dann wieder hat Jesus das Bad in der Menge gesucht. Das war auf dem Höhepunkt seines Wirkens. Da hat er sich aufgemacht und ist in die Hauptstadt geritten auf einem Esel. Dabei hat er eine uralte Prophezeiung erfüllt. Eine unübersehbar grosse Schar, jede Menge Kinder und Erwachsene, hat ihn willkommen geheissen mit Jubelrufen, mit blühenden Blumen, mit Palmzweigen, mit ausgestreutem Grünzeug auf dem Weg. Sogar die Kleider haben sich die Leute vom Leibe gerissen und damit die Strasse gepflastert, auf der der Meister in die Hauptstadt eingezogen ist. Sie haben ihm damit gleichsam den roten Teppich ausgerollt. Was für ein Jubel, was für ein Lobgesang, was für eine hohe, helle Freude hat sich Bahn gebrochen mit überwältigender Macht! (vergleiche Evangelium nach Lukas Kapitel 19,28-38)

So ist es geschehen am historischen Palmsonntag vor bald 2000 Jahren in Jerusalem. Das ist der Tag, den wir jedes Jahr im Frühling feiern. Wir tun es an diesem Wochenende. Und dieses Jahr tun wir es in der Stille. Zugleich wünschen wir uns nichts sehnlicher, als dass diese Stille bald einmal durchbrochen wird von einem lebendigen, quirligen Miteinander. Wie schön wäre es, wenn wir nach unserer mühevollen Pilgerreise durch die Einsamkeit wieder einen gemeinsamen Weg finden! Einen fröhlichen Ausflug ins Grüne machen. Mitfiebern bei einer Sportveranstaltung. Ein Konzert besuchen. In einem gemütlichen Restaurant Platz nehmen. Einen runden Geburtstag feiern im grossen Kreis. Einen festlichen Gottes¬dienst mit der ganzen Familie erleben inmitten einer feiernden Menge … Wenn das an diesem Wochen¬ende geschehen könnte – was wäre das für ein Palmsonntag, an Glanz und Pracht kaum zu überbieten! Ein solches Datum würden wir unser Lebtag nicht vergessen.

Noch ist es allerdings nicht so weit. Selbst für die Ostertage ist mit einer Entspannung nicht zu rechnen. Deshalb bitte ich inständig: Verlieren wir die Hoffnung nicht! Halten wir die Augen offen! Jesus hat seine Augen ebenfalls offen gehalten. Als er auf einsamen Bergen, in glühender Wüste, in düsterer Steppe allein war mit sich selbst und mit seinem Gott – was hat er da getan? Da hat er Ausschau gehalten nach einem Ausgang aus der persönlichen Not, die ihn mit voller Wucht getroffen hatte. Und mitten in der tiefsten Stille tat sich für ihn ein kleines Fenster auf.

Mir fällt dazu ein Lied von Paul Gerhardt ein. Es steht unter der Nr. 683 im Gesangbuch:

Gib dich zufrieden und sei stille

in dem Gott deines Lebens.

In ihm ruht aller Freuden Fülle,

ohne ihn mühst du dich vergebens.

Er ist dein Quell und deine Sonne,

strahlt täglich hell zu deiner Wonne.

Gib dich zufrieden.

Wenn gar kein Einziger mehr ist auf Erden,

dessen Treue du darfst trauen,

alsdann will er dein Treuester werden

und zu deinem Besten schauen.

Er weiss dein Leid und heimlich Grämen,

auch weiss er Zeit, dir´s abzunehmen.

Gib dich zufrieden.

Mein Vorschlag: Dass wir an diesem stillen Palmsonntag ein kleines Fenster aufmachen. Auch die kleinste Hoffnung erfüllt uns mit innerlichen Lebenskräften. Nehmen wir uns ein Beispiel an Jesus: Seine zunächst nur kleine Hoffnung ist zunehmend gewachsen. Sie hat sich enorm gesteigert. Die uralte Verheissung des Propheten hat sich buchstäblich erfüllt. Nach wie vielen Mühen und Plagen durfte Jesus schliesslich doch seinen grossen Tag erleben – und in der Hauptstadt triumphierend Einzug halten als König der Herzen!

Diese ganz grosse Freude – noch vermissen wir sie. Noch ist sie nicht da. Aber vielleicht erhaschen wir einen kleinen Funken von dem grossen Feuer der Hoffnung, das Jesus an diesem Palmsonntag entzündet? Das wünsche ich uns! Und damit unser Hoffnungsfunke so richtig zu glühen anfängt, könnten wir folgendes tun: Auf einem Bogen Papier Palmzweige malen. Und farbige Blumen. Und bunte Tep¬piche. Zu Ehren unseres Heilandes fertigen wir diese Zeichnung an. Und darunter schreiben wir:

„Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn.
Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Lukas 19,38

Lieber Herr Jesus Christus! Noch drückt uns stiller Tage schwere Last. Noch fühlen wir uns beengt, ja gestresst durch die erzwungene Einsamkeit, in die wir gestellt sind durch höhere Gewalt. Noch muss jeder von uns seinen eigenen einsamen Weg mühsam erkämpfen. Dennoch öffnen wir jetzt das Fenster zur Zukunft. Und riechen schon den Duft des Frühlings! Wir fühlen die Kraftströme des neuen Lebens, die du mitten in der Stille bereitstellst an diesem Palmsonntag. Segne uns mit der Kraft deiner Hoffnung, mit der Liebe deines himmlischen Vaters, mit der Zuversicht deiner heilsamen Gedanken, jetzt und allezeit und in Ewigkeit, Amen.

Gottesdienst am 20.01.2019 über die Taufe des Kämmerers

1                Ein besonderes Element

Eiseskälte und Schlittschuhfahren erlebte ich gestern mit meiner Tochter Emma auf der Eisbahn in Schaffhausen. Und jetzt vorhin hörten und sahen wir von Christoph Zinsstag den Bildbericht über Äthiopien.

Übrigens, heute vormittag sind in Addis Abeba 21°. Was ist dort los? Ist dort der ewige Frühling angebrochen? Was sind das für Gegensätze zwischen Eis und Heiss! Alpine Kälte bei uns und angenehme Wärme in Ostafrika. Oder ist es zur Zeit gar eine tropische Hitze dort?

Was verbindet uns über extreme klimatische Gegensätze hinweg? Es ist ein Naturprodukt. Dieses Element gibt es überall, in welcher Form auch immer, sei es in Form von Schnee oder Eis. Sei es in Form eines tropischen Regens.

Es ist das Wasser.

Überall wird es gebraucht. Bei uns in wintersportbegeisterten Alpen­ländern genau wie am Horn von Afrika. Bei uns am Untersee und Rhein ebenso wie im Hochland von Äthiopien.

Von diesem Naturelement hörten wir in der Lesung. Im Äthiopienbericht war ebenso davon die Rede. Fragen wir genauer: Von welchem Wasser war da die Rede?

Es fliesst am Jordan. Es wird vom Täufer Johannes verwendet, als er den Heiland tauft. Und auch bei uns wird es verwendet im Gottesdienst. Bei uns in der Stadtkirche erfüllt Taufwasser eine wichtige Aufgabe, übrigens ebenso wie in den Kirchen Äthiopien. Vielleicht spielt es dort noch eine grössere Rolle?

2                Der Kämmerer

Begeisterung wird in Äthiopien geweckt bis auf den heutigen Tag über dieses urwüchsige, mächtige Naturelement. Da gibt es eine heilige Erzählung mit einer heiligen Wasser-Hand­lung. Dieser Bericht hat Auswirkungen bis auf heute.

Ein Afrikaner, ein hochgestellter Mann, wir würden heute sagen: Ein Bundesrat. Der Leiter des Finanzdepartements. Dieser Mann ist in Jerusalem und macht dort eine seltsame Erfahrung mit dem Tempel und mit einer Schriftrolle.

Nun ist er auf Heimweg. Seine gut gefederte Kutsche bewegt sich langsam. Vor der Mittagssonne ist er geschützt durch einen Baldachin. Äusserlich gesehen, hat es gemütlich. Innerlich aber ist er in Unruhe. Er liest in einer heiligen Schriftrolle, die er im Tempel erworben hat. Hören wir, was dann geschieht:

„Nun war da ein Äthiopier, ein Kämmerer, Hofbeamter der Kandake, der Königin der Äthiopier, der ihren ganzen Schatz verwaltete. Dieser war nach Jerusalem gekommen, um Gott anzubeten, und fuhr jetzt heimwärts. Er saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. Und der Geist sagte zu Philippus: Geh und folge diesem Wagen.

Philippus lief hin und hörte ihn den Propheten Jesaja lesen. Da sagte er: Verstehst du auch, was du liest? Jener antwortete: Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet? Und er bat den Philippus, einzusteigen und neben ihm Platz zu nehmen …

… Da begann Philippus zu reden und ausgehend von diesem Schriftwort verkündete er ihm das Evangelium von Jesus. Als sie nun weiterzogen, kamen sie zu einer Wasserstelle. Da sagte der Kämmerer: Hier ist Wasser. Was steht meiner Taufe noch im Weg?

Er liess den Wagen halten und beide, Philippus und der Kämmerer, stiegen in das Wasser hinab und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser stiegen, entführte der Geist des Herrn den Philippus. Der Kämmerer sah ihn nicht mehr und er zog voll Freude weiter.“

Apostelgeschichte 8,27–39

3                Wertschätzung der Taufe

Ein Ereignis mit weitreichenden Folgen: Bis heute wird dieser Finanzbeamte in Äthiopien verehrt als derjenige, der die Freude und die Taufe und überhaupt das Christentum nach Ostafrika brachte.

Bis heute wird afrikanische Taufbegeisterung überdeutlich, wenn äthiopische Männer, Frauen, Kinder diesen Tag feiern. Den Tag der Taufe. Welche Taufe? Die Taufe von Jesus. Und damit die Taufe aller Völker, wie es im Taufbefehl des Herrn vorausgesagt ist.

In Äthiopien heisst dieses Tauffest Timket (zu deutsch: Erscheinung). Es findet gestern und heute, am 19. und 20. Januar, statt.

Dann geht die Post ab, das sage ich euch! Heilige Tafeln werden von den Altären der Kirchen ans Wasser geschleppt. Am Ufer wird eine Taufzeremonie nachgespielt mit Tausenden von Menschen.  Die Menschen sind geradezu verrückt nach dem Taufwasser, nehmen es nach Hause in Kübeln und Gefässen, weil dieses Wasser eine segensreiche Wirkung für Haus und Hof und Gesundheit entfalten soll. Jedes Jahr wird deshalb die Taufe neu zelebriert.

Können wir uns davon eine Scheibe ab­schneiden? Was lernen wir von unseren äthiopischen Schwestern und Brüdern? Genau das: Ihre Wertschätzung der Taufe. Das wird uns zum Vorbild.

Warum? Wegen der Gleichheit überall auf der Welt. Wenn wir getauft werden, sind wir alle gleich, egal wo wir wohnen und welche Herkunft wir haben. Die Taufe ist so einfach, so unkompliziert. Da braucht es keine Umwege und Klimmzüge, auch keine finanziellen Ausgaben oder standesgemäße, großbürgerlich Regeln, um dieses Fest auszurichten und zu erleben.

Taufe ist überall und jederzeit möglich. Denn Wasser gibt es überall. Und den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes rufen wir überall auf der Welt an.

Das verbindet weltweit. Die Taufe fügt uns zusammen. Sie integriert die  Welt­ge­mein­schaft … in Ost und West und Nord und Süd. Weiss und schwarz und rot und braun und gelb. Männer und Frauen und Kinder. Arm und reich und hoch und niedrig.

Die Taufe bringt also die Globalisierung voran. Ausnahmsweise hat dieses Wort mal einen positiven Klang … Das ist ein lebendiges Hinüber und Herüber. Wir lernen von  ihnen, sie lernen von  uns. Das ist eine gegenseitige Wertschätzung. Da gibt es Besuche hinüber und herüber zwischen der Schweiz und Ostafrike. Gegenseitig gleichen wir unsere Defizite aus. Das haben sie und wir auch sehr nötig.

4                Unsere Probleme

Bei uns liegt manches im Argen, finde ich. Geht es nur mir so? Ist das auch Ihre und Eure Erfahrung?

Unser religiöses und kirchliches Leben im Städtli ist ordent­lich. Aber nicht gerade tiefgründig. Nicht gerade intensiv. Nicht gerade stark und dynamisch. Und hat viel zu wenig Ausstrahlung.

Spüren wir Freude am Glauben? Empfinden wir Begeisterung über Gott und Jesus?  Unser geistliches und kirchliches Leben ist verbesserungs­bedürftig. Da gibt es viele Baustellen.

Hier lernen wir von aussen – von ihnen, die in Äthiopien wohnen.

Hier empfangen wir Hilfe von aussen – von ihnen.  Hier spüren wir Impulse – von ihnen.

Von ihnen lernen wir, was uns mitreisst, was uns in unserer Liebe zu Gott, zu Jesus, zur Kirche wirklich nach vorn bringt: Die Taufe. Die Erinnerung daran.

Denken wir einmal genau darüber nach und lernen wir von ihnen! Damit wir unsere Taufe hereinholen ins tägliche Leben. Damit wir unsere Taufe Tag für Tag präsent haben vor unserem geistigen Auge.

Wir versuchen es ja hier in der Stadtkirche durch dieses Wandsymbol, welches die Wellen des Rhein darstellen soll, in die die Fischlein der neugetauften Gemeindeglieder eintauchen und daraus wieder auftauchen.

Es ist ein kleiner, aber wichtiger Anfang, damit die Taufe bei uns den Stellenwert bekommt, der ihr nach Gottes Willen zusteht.

5                Ihre Probleme

Was aber fehlt ihnen, die in Äthiopien leben? Vielleicht haben wir es? Vielleicht können wir mit etwas dienen? Sie haben zu wenig berufliche und fachliche Kenntnisse. Ihr Land ist – äusserlich und materiell gesehen – noch nicht so entwickelt.

Da lernen sie von uns. Da empfangen sie von uns Hilfe. Hilfe zur Selbsthilfe, Anstösse und Anregungen, und auch finanzielle Anschübe.

6                Austausch und Ausblick

Wechselseitig ist es ein Ausgleich in geistlicher und materieller Hinsicht:

Sie teilen uns ihren geistlichen Reichtum und ihr überfliessend schönes Brauchtum mit.

Und wir teilen unseren beruflichen Fer­tig­keiten mit und geben einen finanziellen Anschub, damit dort eine Entwicklung in Gang gebracht wird in Erziehung und Wirtschaft.

Was wir haben, geben wir. Was sie haben, geben sie.

Und dann treffen wir uns im Zeichen des Regenbogens, der vorgestern abend riesengross über unserem Städtli zu sehen war.

Und dann wird Friede zwischen uns und ihnen, also Selam, wie man auf äthiopisch dazu sagt, Friede und Begegnung zwischen unseren Völkern und Kulturen im Zeichen der Taufe.

Wir erfüllen dann alle miteinander den Taufbefehl, den unser Herr Jesus Christus ausgesprochen hat am Schluss des Matthäusevangeliums Kapitel 28, Verse 18 bis 20:

„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.

Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.

Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Amen

 

Predigt vom 6.1.2019 – König der Herzen

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Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, da das Kindlein war.

Matthäus 2,9

1                Weisheit des Ostens

Beladen mit Schätzen des Orients sind sie unterwegs: Weisheits­lehrer mit einer mäch­tigen, geradezu königlichen Aus­strah­lung, und ausgestattet mit ausserordentlichen Vollmachten.

Woher kommen sie? Aus dem Osten. Also aus Persien, jener uralten Grossmacht, die gerade erst zu neuer Blüte aufgestiegen ist? Aus dem Zweistrom­land, wo die Stern­kunde hoch im Kurs stand? Oder von noch weiter östlich, aus Indien, dem Land der Dichter und Denker?

Und welche Religion bringen sie mit? Kamen sie aus Persien, verehrten sie den Lichtgott, waren vermutlich dessen Feuer­priester. Stammten sie aus Indien, glaubten sie an den Kreislauf der Wiedergeburten und den schlussendlichen Eingang in die Vollendung.

Zugleich haben sie bestimmt schon Sympathien für den einen Gott entwickelt, den Schöpfer Himmels und der Erden, der in Israel angebetet wird.

2                Welche Ausmaße !

Woche um Woche zieht ihre Karawane west­wärts durch die arabische Wüste. Meist sind sie bis spät in den Abend unterwegs. Ein wun­der­bares Himmelslicht leitet sie in eine bestimmte Richtung. Dorthin, wo eine bemerkenswerte Geburt stattgefunden hat.

­Was vermag das neugeborene Kind? Welche Kräfte sind in ihm wirksam? Sogar Him­mels­körper – Fixsterne und Planeten, ganze Galaxien – sind ihm dienstbar und gehorchen ihm. Dieses Kind bringt himmlische Kräfte und irdische Mächte zu­sam­men. Es vereinigt Ost und West, Nord und Süd. In ihm sind göttliche Energien wirksam.

Wird dieses Kind ein Herrscher wie Kyros der Grosse? Wie Alexander der Grosse? Wie Kaiser Augustus? Die ha­ben bereits begonnen, die Welt zu einer Einheit zusammenzufügen. Wird der neugeborene König ihr Werk vollenden? Das kann doch eigentlich nur Gottes Sohn tun!

3                Noch Fragen ?

Jene Forscher kamen aus asiatischen Hochkulturen. Wir kom­­men aus einem europäischen Kul­turland: vom Hoch­rhein und Untersee, und bewegen uns in der modernen Lebenswelt. In unseren Häusern haben wir uns wohnlich eingerichtet.

Ob wir uns dennoch auf den Weg machen wie jene Männer? Wo liegt das Land unserer Träume, das uns heilig ist? Wer ist der König, den wir suchen und zu dem wir aufschauen? Den wir ehren mit unseren Geschenken, Gebeten, Liedern, mit unserem ganzen Leben?

Oder ist uns das, was hier berichtet wird, zu hoch? zu schwer? zu herrschaftlich? Wir leben in der Schweiz, also seit Jahr­hunderten ohne Fürsten und Monarchen. Weise aus dem  Mor­gen­land lassen wir uns noch gefallen. Aber dass das könig­liche Fi­gu­ren sein sollen, die dem ober­sten Herrscher hul­digen? Welche Vorstellungen von Autorität kommen hier zum Vor­schein?

Wirkt das nicht befremdlich, fast unheimlich auf unser behaglich-bürgerliches Lebensgefühl?

4                Der Gang der Entwicklung

Jene klugen, aufgeklärten, überaus vernünftigen Männer hatten anfangs bestimmt auch ihre Zweifel und bequemen Ausreden. Aber die haben sie jetzt überwunden. Jetzt lassen sie sich nicht mehr beirren bei ihrer Suche nach gerechter und welt­weit gültiger Herrschaft. Sie rechnen fest mit einem baldigen Machtantritt des Friedenskönigs. So schnell wie möglich wollen sie sich ihm erkenntlich zeigen.

Sie finden und beschenken den Neugebo­re­nen in der Stadt Bethlehem. Von ihm erwarteten sie, dass er eines Tages zum wohltätigen Herrscher aller Völker aufstei­gen werde. Ganz so, wie es in uralten Prophe­zei­ungen vorausgesagt ist – nicht nur in der jüdischen Bibel, sondern auch in den heiligen Überlieferungen ihrer angestammten Religion.

Mit diesem ge­wal­ti­gen Entwick­lungs­schub rechnen sie – obwohl sie den Heiland der Welt vorläufig „nur“ als Kind bescheidener Eltern erleben. Die einfache Umgebung dieser Familie macht ihnen nichts aus. Denn sie spüren die grossartige Atmosphäre, die vom Kind in der Krippe ausgeht. Und darauf bauen und vertrauen sie.

5               Aufschwung trotz Bedenken

Sie sahen ihn. Hörten sein freudi­ges Geschrei. Betasteten seine Händchen und Füsschen.

Und wir? Sehen tun wir ihn nicht, geschweige denn betasten. Ist er überhaupt noch am Le­ben? Er endete ja tragisch am Kreuz. Ist seine Geschichte nicht längst vorbei?

Aber halt! Ir­gend­wo muss er doch sein! Er kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. Ich bin über­zeugt: Im Verborgenen geschieht einiges an ihm. Und mit ihm. Und durch ihn.

Gut Ding will Weile haben. Gründlich bereitet er sich vor. Worauf? Auf einen neuen Einsatz. Der Tag rückt näher, an dem er sein Ziel erreicht. Das ist der Tag, an dem er wieder­kommt auf unseren Planeten. Das ist der Tag, an dem er endgültig zu welt­be­stim­mender Grösse auf­steigt. Dann ist er der sichtbare Mittel­punkt einer neuen, heiligen Welt­ordnung.

6                Der innere Weg

Hohe Worte! Was steckt dahinter? Ganz überzeugt sind wir immer noch nicht. Wir müssten ihn hier und heute spüren. Und zwar deutlich.

Mein Vorschlag: Höre einmal genau hin. Mache eine Reise in dein Inneres und lausche! Vernimmst du Signale? Findest du deinen inneren Leitstern? Deinen inneren Kompass?

Du findest Jesus im Grunde deines Herzens. In der Tiefe deiner Seele. In den Wegen deiner Gedanken. In den Regungen deines Gewissens. Dort wartet er auf dich. Dort begegnet er dir. Dort stellt er dich vor die Entscheidung.

Im Klang deines Herzens hörst du die Stimme deines Königs. Diese Stimme kommt nicht von oben herab, sondern ist dir vertraut. Und sie kommt dir immer näher.

7                Begrüssungsgeschenk

Genau wie er diese Begegnung gründlich vorbereitet, tun auch wir es. Dass wir ja nicht mit leeren Händen erscheinen! Es muss ja nicht gleich Gold sein, auch nicht unbedingt Balsam oder Weihrauch oder ein wertvolles Gewürz. Das alles wurde ihm schon überreicht.

Wir hingegen entwickeln einen besonderen Ehrgeiz. Wir bringen etwas, woran vielleicht noch kaum einer gedacht hat. Wir schenken ihm unser Herz! Das ist wertvoller als alles Gold dieser Welt. Das ist etwas Persönliches. Das ist das Beste, was wir haben.

Legen wir unser ganzes Leben mit allen Höhen und Tiefen vertrauensvoll in seine Hände. Er ist der neugeborene König und künftige Weltenherrscher. Bei ihm sind wir auf der sicheren Seite. Was kann uns noch passieren?

8                Mächtiges Wohlgefühl

Du und ich, wir sind ja nicht allein in seiner Nähe. Da gibt es noch viele, viele andere. Er wird ver­ehrt von vielen klugen Männern und Frauen aus aller Welt, und dazu von un­zähligen ein­fachen und beschei­denen Leuten. Diese riesengrosse Gemeinschaft trägt und hebt. Sie macht uns alle stark. Denn wir alle sitzen im gleichen Boot, das nicht sinken kann.

Es gab eine Zeit als Schüler und Student, da bekam ich Zweifel an der Wahrheit des Chri­sten­tums. Aber dann sagte ich mir: Was für einer grossartigen Glaubensgemeinschaft gehörst du doch an! Deine Familie glaubt daran. Deine Lehrer, Freunde und Vorbilder glauben daran. Deine Vorfahren haben fest daran geglaubt. Millionen – nein, was sage ich – Milliarden Men­schen glauben daran. Als weltweite Gemeinschaft bilden wir ein unzerreiss­bares Band. Es ist unmöglich, dass wir alle miteinander in die Irre gehen.

Solche Gedanken haben meine Zweifel mit der Zeit über­wunden. Ich bekam neue Zuversicht und lernte, meinen Glauben selbstbewusst zu leben. Immer mehr wurde mir bewusst:

Die Bewegung, die durch jenes Kind ins Leben ge­ru­fen wurde, hat im Lauf der Jahr­hun­der­te und Jahrtausende alle anderen Religionen über­flügelt. Das Christentum ist inzwischen die zahlenmässig grösste Glaubensgemeinschaft der Welt. Das sei in aller Bescheiden­heit gesagt.

Damit ist nicht gesagt, dass andere Religionen nichts wert sind. Im Gegenteil. Sie be­inhal­ten hohe Gedanken, ehrwürdige Gefühle, wertvolle Weisheiten, die allesamt im Christentum zur Vollendung kommen. Die Weisen aus dem Morgenland sind der beste Beweis dafür: Sie bringen ihren angestammten Glauben zur Krippe von Bethlehem. Unter dem unwider­steh­lichen Einfluss von Jesus wird ihr heidni­sches Denken umgeformt, verwandelt und veredelt.

Was für ein wunderbar mitreissendes Gefühl löst das aus! Was für eine Begeisterung! Was für einen Gemein­schafts­geist! Es geht um die stärkste und wichtigste und bedeu­tend­ste Persön­lich­keit der Welt­ge­schic­h­te: Um das Kind in der Krippe, den Mann am Kreuz, den Held von Ostern. Er ist es wert, dass wir uns ihm unter­ordnen mit allen unseren Gedanken, Wünschen und Vorstellungen. Denn er ist der Mann der Zukunft.

9                Segenswunsch

Was ist also mein Wunsch für dieses neue Jahr? Dass wir die Strasse nach drinnen finden. Und diese Strasse auch wirklich gehen.

Dort fällt es dir leichter zu gehorchen. Dort auf dieser Strasse findest du deinen Meister. Die grösste Autorität der Welt­ge­schic­h­te flüstert dir in deinem Herzen fein und zart den göttlichen Willen zu.

Und dadurch lernst du glauben. Dadurch wirst du immer selbstbewusster in deinem Glauben.

Sollte angesichts solcher Möglichkeiten jemand von uns im Abseits bleiben? Das geht doch einfach nicht! Wer kann hier widerstehen?

Also nichts wie hin, Augen und Ohren aufgemacht! Und dann bist du hin und weg vor Begeisterung. Den König der Herzen hat du gefunden, den Meister deines Lebens, Amen.

Friedenspredigt am Neujahrstag 01.01.2019

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1                          Appell des Künstlers

Ich erinnere mich an Herbert von Karajan bei einem seiner letzten Neujahrskonzerte in Wien 1987. Da hat er, schon als zerbrechlicher Greis, der sich kaum noch auf den Beinen halten und nur von einem Hocker aus dirigieren konnte, noch einmal das Wort ergriffen.

An das Publikum in der Wiener Staatsoper und vor Millionen Fernsehzuschauern in aller Welt richte­te er einen flehentlichen Appell. Das war sein innerstes Vermächtnis, das er der Men­s­c­h­­heit mitgeben wollte: „Und was ich Ihnen von ganzem Herzen wünsche, ist Frieden … Frieden … Frieden …“

Was für ein schönes Wort! Wer wünscht sich das nicht? Wer wollte nicht Harmonie und Eintracht erleben im neuen Jahr?

2                          Aufruf des Königs

In diesem Wunsch wer­den wir unterstützt vom Jahresmotto 2019 aus Psalm 34 Vers 15. Dort steht der schlichte Satz geschrieben:

„Suche Frieden!“

So weit, so gut. Von wem stammt die Aufforderung? Von König David. Moment mal. Aus­ge­rechnet der? War der beson­ders friedfertig? Oder nicht das Gegenteil davon? Der lebte doch ein bunt­gefärbtes Herrscherleben mit vielen Licht- und Schattenseiten. Und war ein ziemli­cher Hau­degen und Haudrauf. Ist das der Grund dafür, dass er seinen Aufruf zum Frieden mit einem Wort aus der Jäger­sprache garniert? Der vollständige Satz lautet nämlich:

„Suche Frieden und jage ihm nach!“

Also beim besten Willen: dem Frieden nachjagen – das verstehe, wer will. Wie passt das zu­sammen? Eine Jagd ist doch etwas extrem Kämpferisches! Ein Duell zwischen Mensch und Tier. Etwas Blutiges. Da wird Gewalt angewandt. Wenn man „Frieden“ und „Jagd“ kombiniert, klingt das fast wie das alte römische Sprichwort, das da lautet:

„Wer Frieden will, muss zuerst zum Krieg rüsten.“

Was machen wir also mit Davids sperrigem Vers, der Friedenssuche mit Jagd und Kampf verbindet? Versuchen wir, den Vers von seiner militanten Sprache herunter zu brechen, ihn abzuwandeln auf unsere bürgerlichen Verhältnisse. Probieren wir, den Vers zu entmilitarisieren. Dann klingt er vielleicht so:

„Suche Frieden unter allen Umständen, mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen.“

Wie klingt das? Auch jetzt ist der Vers noch extrem anspruchsvoll, noch sperrig genug. Ist das nicht immer noch zu steil? Können wir das wirklich: alle Hebel in Bewe­gung setzen, damit es Frie­de werde im familiären und gesellschaftlichen Zusammen­le­ben, im Städtli, in der Region, im Kanton, in der Eidgenossenschaft, in Europa, in der weiten Welt?

Vermögen wir wirklich alles, was in unserer Macht steht, einzusetzen, um diesen Frieden zu ergattern – koste, was es wolle? Überfordert uns das nicht? Oder anders gefragt: Kann man es mit dem Frieden nicht auch übertreiben? Gibt es nicht auch einen Missbrauch damit? Gibt es nicht den Fall, wo unter diesem hehren Wort eine Beeinflussung oder Manipulation verborgen ist?

3                          Friedenspolitik

Erinnern wir uns: Die kommunistischen Staaten, als sie noch bestanden, veranstalteten regel­mäs­sig Friedens­festspiele. Etwa im Sport oder bei kul­turellen Anlässen. Da wurde das edle Wort „Frie­den“ zum Teil einer staaatlichen Werbe-Aktion, um das Image aufzubessern.

Und wie war es bei der Friedensbewegung in den 1970er und 1980er Jahren hier in den westlichen Ländern? Bei allem Respekt vor dem Engagement dieser Männer und Frauen: Diese Bewegung war meist von fort­schritt­lichen, eher links gerichteten Ideen bestimmt. Dadurch bekam das schö­ne Wort „Frieden“ einen etwas ein­seitigen Beigeschmack.

Denn was sollte der eher traditionelle Teil der Bevölkerung mit der Friedensbewegung anfangen? Sehr viele Menschen wollten sich nicht vor diesen Karren spannen lassen.

Ich weiss noch gut, dass bei mir im Elternhaus der Pazifismus – also das bedingungslose Streben nach Frieden entsprechend dem Vorbild von Mahatma Gandhi und Martin Luther King – gar nicht gut angesehen war. Bei uns zuhause klang das Wort „Friede“ nach Ka­pi­tu­la­tion vor dem Kommunismus.

Nun, die Zeiten haben sich geändert und der Kom­munismus, jedenfalls in Europa, ist Geschichte. Und beim Fall des Eisernen Vorhangs vor 30 Jah­ren dachte manch einer: Nun ist der Friede nicht mehr aufzuhalten, die Menschheit bricht zu neuen Ufern auf …

Schon bald wurde klar, dass das zu idea­li­stisch gedacht war.

4                          Gegensätze

Denn, nicht wahr, wir sind und bleiben nun einmal Menschen. Und das heisst: Wir haben unterschiedliche Interessen. Wir können nicht alles und jedes versöhnen und befrieden.  Allen Leuten recht getan ist eine Kunst, die niemand kann. Jeder von uns hat seinen eigenen Willen, der eben nicht übereinstimmt mit dem Willen der anderen.

Warum grenzen wir uns überhaupt ab? Um eine gewisse Selbständigkeit und einen eigenen Wert zu bekommen. Das fängt schon bei Kleinkindern an. Ich bin ich und du bist du. Und da ist noch ein dritter und vierter – und das sind auch wieder eigenständige, eigenwillige Personen.

Ich habe meine Sachen, und du hast die deinen. Ich habe meine Probleme, und du hast die deinen. Am besten vermischen wir sie nicht. Auch in der besten Ehe geht der eine Partner nicht im anderen auf. Es sind immer noch diese zwei Menschen. Selbst Zwillinge, wenn sie erbgleich sind, haben nicht die gleiche Identität und nicht dieselben Interessen.

5                          Selbstbestimmung

Dass wir Standpunkte und Schwerpunkte haben, die sich unterscheiden (manchmal sogar sehr), ist ein allgemeines Lebensgesetz im ge­sam­ten Kosmos und darüber hinaus. Das gilt auf der Erde ebenso wie im Himmel.

Dass es Unterschiede gibt zwischen den Per­sonen, zwischen ich und du, ihr und wir – das respektiert selbst Gott, und lässt es so stehen. Er will uns gar nicht unter einen gemeinsamen Nenner bringen. Er will uns gar nicht unter irgend einem Schlagwort vereinnahmen. Jedem von uns lässt er den eigenen Willen. Er wünscht ausdrücklich, dass jeder von uns sein eigenes Profil entwickelt.

Gott respektiert ja auch den Willen von Jesus. Und achtet ebenso den Willen des Hei­li­gen Geistes. Das sind drei höchsten Personen. Sie leben eng beieinander in ewigem Frieden. Aber jeder von den dreien setzt eben doch auch gern eigene Akzente. Nur, die drei schaffen es, ihre unterschiedlichen Sch­we­r­punkte fortlaufend mit­ein­an­der zu har­mo­ni­sieren in vollendeter Weise. Das ist der Friede Gottes, der über alle Vernunft ist – den wir nicht verstehen, geschweige denn nachmachen können, sondern nur staunend und bewundernd anbeten.

6                          Engelstreit

Die herrliche Eintracht, die im Himmel herrscht, ist etwas, das aussschliesslich Gott und Jesus und dem Heiligen Geist vorbehalten ist. Das kann kein Geschöpf nachmachen.

Nicht einmal die Engel schaffen es, untereinander und mit Gott Frieden zu halten. Ein Teil von ihnen hat sich sogar gegen den Schöpfer empört, worauf ein regelrechter Krieg zwischen guten und abgefallenen Engeln ausbrach.

Wenn nicht einmal die Engel es fertigbringen, Frieden zu halten – wie sollen wir das schaffen? Unsere fehlt die innere Harmonie. In uns brechen immer wieder Zorn und Leidenschaften auf. Ist das nicht der Grund für viele Auseinandersetzungen? Für Streit und Angriffe? Für Schlägereien und Handgreiflichkeiten? Für Gewaltanwendung verschieden­ster Art? Und zwar im kleinen Maßstab ebenso wie im Bereich ganzer Völker. Gott sei es geklagt.

7                          Flickwerk

Manchmal werden diese Gegensätze notdürftig überbrückt. Das sind dann die berühmten Kom­pro­mis­se nach dem Motto: Wir wissen, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Und signalisieren uns gegenseitig, dass jeder bei seiner Meinung bleibt. Deshalb schlagen wir uns noch lange nicht die Köpfe ein. Sondern wir halten still und halten Abstand voneinander.

Mit anderen Worten: Es gibt derzeit (noch) keine natürliche Harmonie zwischen uns Menschen. Sondern nur einen notdürftigen Vergleich der Gegensätze. Vielleicht im Sinne eines vernünftigen Ausgleichs. Das ist ja auch schon etwas. Immerhin.

Die Übereinkunft, die entsteht im Miteinander oder Neben­ein­ander, ist freilich ziemlich zer­brech­lich. Sie kann jederzeit auseinander brechen. Und dann ist der Streit wieder da. Das passiert in den besten Familien und an den schönsten Kaffeetafeln.

Die Bruchstelle kann geflickt werden, vielleicht nur notdürftig, und das hält dann eine Zeitlang. Aber eben nur bis zur nächsten Eintrübung. Was für ein schwankendes Gleichgewicht ist das doch …

Das ist besser als gar nichts. Das hilft, um einigermassen zu über­leben. Wir müssen ja auf irgend eine Weise miteinander oder nebeneinander leben – manchmal mehr schlecht als recht, aber immerhin.

Wir können und wollen nicht auswandern auf den Mond. Wir sind ge­bun­den an diese Erde. Und das heisst, wir sind den Lebensgesetzen dieser Erde unterworfen. Und das heisst:

Wir sind darauf angewiesen, mit unseren Mitmenschen irgend ein Einvernehmen, also eine Art Abkommen zu treffen, so dass wir uns gegenseitig in Ruhe lassen. Und uns einiger­mas­sen leben lassen. Auch wenn der volle Friede vorläufig noch nicht erreichbar ist. Besser ein Teil davon als gar nichts davon.

8                          Hoffnung

Tröstlich und aufbauend ist, dass Gott genau diese unvoll­kom­me­nen, zerbrechlichen, bloss vorläufigen Friedens­schlüsse respektiert, ja fördert. Gerade aus ihnen macht er etwas, worauf sich auf­bauen lässt. Er wünscht, dass sich dadurch etwas entwickelt – nach vorne und nach oben.

Denn das Endziel hat Gott nicht aus den Augen verloren. Irgendwann soll die Harmonie, die er selber in seinem Verhältnis zu seinem Sohn und zum Hei­li­­gen Geist hat, sich dann auch auf die Erde übertragen. Irgendwann soll der himmlische Friede bei uns auf Erden anfangen.

Davon haben die Engel auf den Fluren Bethlehems gesungen, als der Heiland geboren wurde. Und deshalb beten wir im Unser Vater: Wie im Himmel so auf Erden …

Es ist ein weiter Weg bis dorthin. Aber immerhin: wir sind un­ter­wegs. Gott und Jesus und der Heilige Geist neh­men uns an der Hand. Sie hauchen uns ihren Geist des Friedens ein. Wir inhalieren diesen Geist des Friedens. Dieser Geist des Friedens ist höher als unsere Vernunft.

Was ist also mein Rat? Versuchen wir es mit dem Frieden. Und seien wir nicht enttäuscht, wenn es nicht gleich so richtig klappt. Keiner ist vollkommen. Nicht einmal die Engel schaffen es. Es gibt Rückfälle. Lassen wir uns davon nicht entmutigen. Stehen wir immer wieder auf. Und fangen an zu jagen. Das ist ein schwieriges Wort, aber es weist uns auf die richtige Spur.

Wir sollen und müssen es versuchen, wieder und wieder. Ein Jäger pirscht sich stundenlang heran, streift tagelang durch Feld, Wald und Flur. Wie ausdauernd ist er dabei! Gut Ding will Weile haben. Halten wir es genauso bei unserer Suche nach Frieden, Amen.