Engel

„Dankt Gott und preist ihn. Sagt allen Menschen, wieviel Gutes er an Euch getan hat, damit sie ihn mit Lobliedern rühmen. Und seinen Namen preisen. Alle Menschen sollen von seinen Taten erfahren. Gebt ihm die Ehre! Zögert nicht, ihnen davon zu erzählen.“ Biblisches Buch Tobit Kapitel 12, Vers 6

1 Moskau 2014

Was war das für eine schlechte Stimmung … Damals Moskau 2014. Trost suchte ich wo? Natürlich im Kino. Was lief? Szenen von einem anderen Planeten.
Na klar, gibt es dort auch andere Lebewesen. Was für seltsame Leute sind! Mit großem Geschick sind sie unterwegs. Sie tun das äusserst originell. Mithilfe ihrer Technik machen sie das.
Ausgerechnet mit ihnen stehen wir in Auseinandersetzung. Denn auch von uns Menschen sind einige dort oben gelandet auf dem andern Stern. Und dort ist ein Wettlauf. Worum? Um die besten Plätze?
Wer ist überlegen? Etwa die anderen? Weil sie technisch besser drauf sind als wir? Haben wir also schlechte Karten im inter-planetarischen Verdränungs-Wettbewerb?
Aufpassen, die Sache läuft anders, als man denken könnte …
Haben uns jene Konkurrenten anfänglich noch äusserst kritisch beäugt, so entwickeln sie alsdann neutrale Gefühle. Oder sogar positive. Und je länger, desto mehr soziale Sympathien. Geradezu mit-menschliche Kräfte. So dass sie uns am Schluss auch noch unterstützen! Obwohl wir doch eigentlich Gegner sind …
Was kann uns Besseres passieren? Sie werden zu unseren Helfern! Unsere Lehrer werden sie, die uns die Geheimnisse des Universums erschliessen. So dass aus dem Gegeneinander ein gemeinsames Projekt wird. Und das Ganze gelingt im edlen, fairen, olympischen Geist.
Ein Märchen? Vielleicht … Womöglich mit einem wahren Kern ?

2 Intelligente Partnerschaft

Da saß ich also in der Spätvorstellung meines Moskauer Lieblingskinos. Das befindet sich an der Prachtstraße Tsistye Prudi („Reine Quellen“). Dort verzauberten mich die seltsamen Gestalten vom andern Stern. In eine gehobene Stimmung versetzten sie mich. Ich verliebte mich regelrecht in sie. Getröstet trat ich aus dem Lichtspielhaus heraus.
Da stand ich auf den spätabendlich belebten Boulevard. Und dachte bei mir selbst: Gibt es das also doch – die übersinnliche Unterstützung? Diese quirlige, mechanisch perfekte, andersgeartete Welt kraftvoller Lebewesen? Die aus unbegreiflichen Gründen Sympathie empfinden für uns plumpe, langsame Erden-Klöße? Die uns den Ausstieg aus unseren Problemen gönnen? Uns behilflich sind beim Aufstieg in ein besseres Dasein?
Gibt es also so etwas wie überragende Intelligenz – aber mit liebevollem Herzen? Komplett gut und rein gestaltete, technisch perfekte Persönlichkeiten aus einer parallelen Welt – aber gerade nicht gefühlskalt wie Maschinen? Sondern warm und mitfühlend?

3 Perfekte Geistwesen

Blitzartig schoss mir die Frage durch den Kopf: Passt diese Beschreibung nicht auf jene geistigen Lebewesen, von denen die Bibel haufenweise berichtet? Und nicht nur die Bibel. Wichtige Bücher fast aller Völker erzählen davon.
Die sehr große Zahl und Qualität dieser Berichte lässt den Schluss zu:
Es gibt in der parallelen Welt Personen, die auf Perfektion ausgelegt sind. Die ermüdungsfrei handeln. Die sind reine Energie. Die verfügen über fast unendliche Kraftreserven. Die verkörpern eine sehr hohe Stufe des Lebens und eine äusserst starke Qualität des Daseins.
Die Rede ist von den Engeln. Nach allem, was wir über sie lesen und hören, sind sie fitter als wir. Haben eine höhere Gedankenkraft. Sind zugleich näher dran an der Praxis. Schalten schneller. Funktionieren eleganter. Bei ihnen greift ein Rädchen ins andere. Das ist bei ihnen wie bei einem Uhrwerk. Sie geben sich ganz ihren wohlüberlegten Handlungen hin. Sie sind pure, reine Geschäftigkeit.

4 Schnelligkeit

Ihr Lebensraum und Wirkungsbereich ist geräumig. Womöglich umfasst er den ganzen Kosmos?
Weil auf dieses riesige Arbeitsfeld bezogen, leben Engel in unvorstellbar starker Beschleunigung. Sie können präsent sein an allen möglichen und unmöglichen Orten. Sind darum auch im Hier und Jetzt bei dir und mir: heute abend in diesem Gottesdienst. In unserem Städtchen Diessenhofen. Hier am Hochrhein im Kanton Thurgau, zwischen Schaffhausen und Stein am Rhein.
Wie schnell ist ihre Bewegung? Lichtgeschwindigkeit ist zu langsam für sie. Dafür haben sie nur ein müdes Lächeln übrig. An einem Ende des Weltalls können sie präsent sein – und blitzschnell zum anderen Ende des Weltalls wechseln – alle Grenzen von Raum und Zeit sprengend.
Lassen sie sich etwa „beamen“? Ähnlich wie Mr. Spock in der Serie „Raumschiff Enterprise“ ? Das Banner, Wahrzeichen und Motto der Engel – „geschwinder als das Licht“ – ist der Flügel. Er ist Symbol ihrer überraschend häufigen, sofortigen, überaus eleganten Ortswechsel.

5 Herausforderung

Und wir im Vergleich? Wie langsam sind wir! Unsicher. Abhängig von Lust und Laune. Bekommen die Sachen nicht auf die Reihe. Begnügen uns mit einem mittleren oder bescheidenen Level. Weil uns alles andere zu anstrengend ist.
Die Ausrede lautet: „Ich bin klein. Begrenzt. Also was soll´s. Warum nach den Sternen greifen? Lieber bleibe ich in meinem Schneckenhaus.“ Bleiben wir damit zeitlebens auf dem Niveau verspielter Kinder? Den Ernst des eigentlichen Lebens wollen wir anscheinend nicht wahrhaben.
Eine Bitte: Machen wir uns nicht kleiner und schwächer, als wir sind!
Einen Ansporn und Antrieb, eine flotte Trainingseinheit, einen Impuls von aussen und oben – könnten wir nicht genau das gebrauchen? Deine und meine Zerbrechlichkeit, Anfälligkeit – verlangt sie nicht dringend, ja zwingend nach unzerstörbaren Bezugspersonen, nach spirituellen Doppelgängern in der anderen Welt? Unser Defizit muss doch irgendwo ausgeglichen, ins Positive umgewandelt werden …
Heisst das, dass jeder von uns „drüben“ seinen Helfer und Partner hat? Seinen persönlichen Kraft-spender, der dir und mir eine perfekte Stufe des Lebens vorlebt? Und uns damit unter sanften Druck setzt? Damit wir uns nach vorne und oben bewegen?
Und zwar ohne Zwang. Wir sind ja keine Marionetten. Die Signale der Engel sind als Einladung zur Kooperation zu verstehen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

6 Impuls des Willens

Wie reagierst du? Mit Verzögerung? Oder gar nicht? Willst du? Oder willst du nicht? Ein bisschen Willenskraft soll doch wohl sein! Oder vielleicht sogar ein bisschen mehr? Das müssten wir schon noch aufbringen. Und das können wir auch.
Wir sind nicht so schwach, wie wir uns einbilden. Als körperliche Wesen sind wir zwar etwas langsam. Vielleicht sogar träge. Aber dennoch sind wir hoch respektiert in der oberen Welt. Ebenbilder Gottes sind wir sogar! Werden einer riesengroßen Wertschätzung gewürdigt.
Werden wir da nicht doch die Entschlusskraft aufbringen, uns fortan in die Richtung unserer oberen Quellen und Ursprünge zu bewegen?
Eine kleine Willensäusserung genügt schon, um die Sache in Gang zu bringen. Ein bescheidenes Ja an die Adresse Gottes und unseres Schutzengels – das bereits löst den grossen Schub aus.
Weil wir eine solche Würde haben, weil uns eine solche Chance eingeräumt wird, appelliere ich hier und jetzt an unseren Willen: Weichen wir dem höheren Einfluss nicht aus! Stellen wir uns der olym-pischen Herausforderung!
Machen wir uns zusammen mit unserem Schutzengel auf den Weg. Wohin? In eine bessere Welt. Tun wir das für uns persönlich. Und für die Mitmenschen. Und für das Große Ganze.

7 Aufträge und Auftraggeber

Laut Bibel haben Engel mit dem Gottesdienst, mit der himmlischen und irdischen Verwaltung, aber auch mit dem heiligen Krieg zu tun. In der parallelen Welt sind sie liturgische, administrative und kämpferische Geistwesen: Heilige Sänger, Künstler, Verwaltungsleute, Soldaten, Offiziere.
Sie sind personale Einzelwesen, unantastbar, unzerstörbar, eingebunden in eine grossartig funktio-nierende Ordnung. Sie handeln weisungsgebunden und auftragsbezogen entsprechend den Lei-stungsgesetzen und Leitungsgrundsätzen der oberen Welt.
Engel sind allein unterwegs als Botschafter mit Spezialaufträgen. Oder sie fügen sich zu Gruppen und Großgruppen zusammen – zu Chören, Orchestern, Armeen. Und wer ist ihr Oberbefehlshaber?
„Spricht nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund“, sagt der römische Hauptmann zu Jesus Chri-stus, siehe Evangelium nach Matthäus Kapitel 8, Vers 6.
Also der Messias soll eine Fern-Heilung vollbringen. Der Meister braucht gar nicht anwesend sein im Krankenzimmer. Der Römer vertraut darauf, dass Gottes Sohn direkten Zugriff auf Heilungs-Engel hat, die er nach Belieben aussendet.
In der oberen Welt (und Christus gehörte zur oberen Welt damals schon, während er als Mensch unter Menschen weilte) gibt es ein heiliges Führerprinzip: Was die Chefs sagen, gilt. Punkt.
Also Vater, Sohn und Heiliger Geist sind an der Spitze. Und niemand anders. Sie üben die Befehls-gewalt über unermesslich zahlreiche Engel aus.
Engel sind geistige Wesen mit Vernunft und Willen. Sie sind sie in einer natürlichen Nähe zum Heiligen Geist. Dieser braucht und benutzt geistige Mitarbeiter, in denen und durch die er wirkt. Der Heilige Geist ist Urbild und Vorbild aller Engel.

8 Naturgesetze

Wieviele gibt es von ihnen? Jeder Mensch hat seinen Schutzengel. Die Menschheit umfasst etwa acht Milliarden Menschen. Also muss es derzeit mindestens genauso viele Engel geben, die einen Auftrag als Schutzengel wahrnehmen.
Und wie der hebräischen Bibel und den apokryphen Spätschriften zu entnehmen ist, gibt es Schutzengel auch für die Natur. Zum Beispiel für Feuer, Wasser, Erde, Wind. Überhaupt für die Elemente des Daseins. Offenbar hat sogar jeder Fixstern im Weltall seinen Engel.
Ich halte es für möglich, ja für wahrscheinlich, dass der präzise Ablauf aller Naturvorgänge von Engeln gesteuert wird. Dass es also nicht allein an mathematischen, physikalischen, chemischen und biolo-gischen Gesetze liegt, dass alles so reibungslos funktioniert. Sondern dass hinter allen natürlichen Phänomen geistige Kraftpersonen stehen – in Gestalt von Begleit-Engeln für die ganze Natur. Denn Geist und Natur gehören zusammen. Geistige und körperliche Welten sind unzertrennlich.

9 Entwicklungspotentiale

Wir Menschen sind Teil der irdischen Körperwelt mit einer unvorstellbar konzentrierten Ansamm-lung, Verdichtung und Differenzierung. Und zwar im molekular-atomaren, dann aber auch biologisch-organischen System dieses unseren blauen Planeten.
Und die Engel? Sie sind reine Geistwesen. Ihr Lebensraum ist die allerhöchste Welt des dreieinigen Gottes. Dann aber auch sind sie in diesem Kosmos aktiv, in diesem Weltall, und insbesondere auf unserem blauen Planeten. Hier sind sie mit ganzer und voller Liebe, Hege und Pflege aktiv.
Engel tun jetzt schon, was Menschen (also wir Ebenbilder des Vaters und des Sohnes) in ähnlicher Form einst auch tun werden: Hege und Pflege der Naturvorgänge. Das leisten wir jetzt und dann. Dann in der Zukunft nicht nur bezogen auf diesen Planeten, sondern bezogen auf eine riesige zivilisatorische Aufgabe im gesamten Weltall.
Jetzt ist Übungs- und Trainingszeit. Da gibt es manche Überschneidungen der Kompetenzen zwischen Engeln und Menschen. Vielleicht sogar eine freundliche Konkurrenz zwischen der liturgischen Anbetung der Menschen und der Engel?
Der Engelchor ist technisch perfekt. Aber der menschliche Chor ist, obwohl mit kleinen Fehlern behaftet, womöglich emotional wärmer? Beide Chöre sind unverzichtbar und stehen in einem freundlichen Wettbewerb. Zwischen den Engeln und uns herrscht ein wertschätzender olympischer Geist.

10 Heilige Transporte

Und was machst du und ich, wenn es brenzlig wird? Tun wir wegschauen? Oder der Gefahr ins Auge blicken, statt uns wegzuducken? Stellen wir uns der schwierigen Situation, die sich ergeben hat?
Treten wir für einen Moment zur Seite. Bewegen wir uns aus der Schusslinie. Gehen wir in die Stille. Denken wir darüber nach, worauf es ankommt. Und worauf es hinaus läuft. Wann kommt die Hilfe? Wie weit ist das Land der Sehnsucht entfernt?
Der Engel der Hoffnung ist nicht so weit weg, wie man meinen könnte. Öffnen wir uns jener oberen Kraft! Tun wir das in einer stillen Stunde. Daraus fließt neuer Lebensgeist. Erleben wir ihn hautnah! Geniessen wir ihn.
Die obere Welt ist nicht so weit weg, wie uns das vorkommt. Da gibt es ein überaus lebendiges und quirliges Hinüber und Herüber zwischen Diesseits und Jenseits.
Laut Bibel gibt es – im Bilde gesprochen – eine riesige Freitreppe, die in eine parallele Welt hinüber führt. Engel Gottes steigen auf ihr herab und wieder hinauf. Gelingt dadurch die Übertragung positiver Energien?
Der jüdische Patriarch Jakob – Enkel des Stammvaters Abraham – erlebte dies auf einer schwierigen Tour. Im ersten Buch Mose Kapitel 28 ist davon die Rede.
Jakob war in einer kniffligen Lage. Vor seinem Zwillingsbruder Esau musste er fliehen. Und zwar, weil er durch eigene Schuld in Streit mit ihm geraten war. Trotz seiner Defizite erfährt Jakob, dass Gott an ihm festhält. Und ihm sogar Engel schickt, die ihn besuchen, beruhigen, Hilfe signalisieren.
Besteht diese Engel-Treppe auch in deinem und meinem Leben? So dass du und ich freie Bahn haben, um nach oben zu gelangen – trotz unserer Fehler und Sünden?
Ja, es gibt diese riesige Freitreppe in den Himmel. Auf ihr schreiten unsere Schutzengel auf und ab. Dieser rege Verkehr sichert den Aufstieg unserer Gebete ins himmlische Netzwerk – bis hinauf zum Thronsaal des dreieinigen Gottes. Deine und meine Gebete werden ganz nach oben gebracht.
Das gelingt aufgrund einer unwahrscheinlich guten und schnellen Transportkapazität der Engel. Sie tragen unsere Gebete, so klein und unscheinbar, so kompliziert und beschwerlich sie sein mögen, hinauf. Sie tun das mit einer blitzartigen Geschwindigkeit. Und präsentieren sie gezielt am richtigen Platz – im Thronsaal, wo Vater, Sohn und Heiliger Geist ihr universelles Machtzentrum haben.

11 Himmlische Beratungsqualität

Dort kennt man jeden von uns mit Namen. Dort wird über uns gesprochen. Massnahmen werden erörtert und ergriffen. Alles, was wir sind, haben und tun, wird in der parallelen Welt durchgespielt, beraten, überlegt. Unsere Spielräume werden dort oben ausgelotet, geeignete Ziele werden anvisiert, gangbare Wege gebahnt, inspirierende Impulse eingespeist.
Vergessen und übersehen wir zuweilen diese einzigartige Lebens- und Unterstützungsmöglichkeit? Oder sind wir zu bequem, uns auf eine solche Chance einzulassen?
Dann aber wachen wir auf. Und sehen: Kein geringerer als Gott selbst ist hier. Und er schickt deinen Schutzengel, um dich auf den richtigen Weg zu bringen. Und dich von falschen Wegen abzuhalten.
Mein Wunsch für dich und mich im kommenden Monat September, an dessen Ende wir den Gedenktag des Erzengels Michael und aller Engel feiern: Seien wir achtsam! Seien wir wachsam. Seien wir aufnahmebereit für Licht und Klang, Wärme und Hilfe unseres Schutzengels.
Versuchen wir, ihn zu erspüren und wahrzunehmen – dass wir also von seiner Weisheit, Erfahrung und überlegenen Einsicht einen Nutzen gewinnen. Hören wir auf ihn, erleben wir Erleuchtung, verstehende Begleitung und himmlische Aufklärung,

Amen.

Predigt am Sonntag des guten Hirten 01. Mai 2022 in Diessenhofen

„Kein Hirt – eine Herde, jeder will das Gleiche, jeder ist gleich, wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus.“ Sagt Friedrich Nietzsche („Also sprach Zarathustra“ Kapitel 5)

„Ich bin der gute Hirte und kenne meine Leute, und meine Leute kennen mich ebenso, wie mich mein Vater kennt und ich den Vater kenne“, sagt Jesus Christus (Johannesevangelium Kapitel 10,14-15).

 

1          Kopflos

Kein Hirt weit und breit. Die Herde bleibt sich selber überlassen. In welche Richtung gehen wir? Womöglich folgen wir dem Herdentrieb? Tun das gleiche? Blöken miteinander? Rennen in dieselbe Richtung?

Oder das Gegenteil ist der Fall: Wir springen auseinander. Jeder in die andere Richtung. Geraten wir in Streit? Böcke sind angriffslustig. Schafe können ganz schön streitsüchtig sein. Der eine äussert dies, die andere das. Nicht selten gibt es Streit über kleine, empfindliche Fragen.

Ein Wort wechselt das andere. Steigert sich das von den Worten zu den Fäusten? Verbittert geht man auseinander – wenn man vor Schmerzen überhaupt noch laufen kann. Der eine marschiert in diese einsame Richtung, die andere in eine andere Richtung, die ebenso einsam ist.

2          Tausend Einzelgänger

Oder sind wir gleichgültig gegeneinander? Covid hat die Neigung zur Vereinzelung – die sowieso in nicht wenigen drinsteckt – noch verstärkt. „Die Menschen sind schlecht. Jeder denkt an sich. Nur ich denk an mich ….“

Du kümmerst dich um deine Sachen. Um deine Sorgen allein. Du bist du. Ich bin ich. Ich und du sind auseinander und allein … Ist das die traurigste Hauptsache der Welt?

Man nennt das wohl auch Selbst-Isolation. Oder Selbst-Verwirklichung? Das Wort war durchaus modern. Ist es immer noch. Weil es einer Strömung unserer Zeit entspricht, die auf immer mehr individuelle und zugleich kleinformatige Freiheit hinaus läuft – und die grossen gemeinschaftlichen Fragen der Zukunft aussen vor lässt.

Und die christliche Herde? Ist zersplittert. Die bürgerliche Gesellschaft? Auch nicht mehr das, was sie einmal war. Jeder dreht sein eigen Ding. Wer fragt noch gross nach dem Nutzen, den die Gemeinschaft davon haben könnte, was ich mache – oder eben nicht mache?

Wer braucht noch eine übergeordnete Hand? Der Markt und das Kapital treten an die Stelle höherer Autoritäten. Also vertrauen wir auf Zahlen, Formulare, Papiere, Aktien, Bitcoins.

Und wenn alle Stricke reissen? Dann setzen wir auf Rechtsanwälte. Zu denen haben wir zwar kaum einen persönlichen Draht. Ist auch gar nicht nötig. Hauptsache, die arbeiten effizient.

Schade. Sind wir Menschen nicht eigentlich auf Gemeinschaft angelegt? Dass wir uns selbstlos kennen, stützen, fördern? ausgleichend wirken? barmherzig mit Schwächeren sind? uns ermahnen und korrigieren? Oder auch mächtig anfeuern? kräftig motivieren?

3          Die ordnende Kraft

Von selber schaffen wir es schlecht, echte und tragende Gemeinschaft aufzubauen. Brauchen wir dazu nicht doch die höhere Kraft, die uns zusammenführt?

Eine neutrale und doch zugleich mitfühlend zugewandte Person müsste das sein. Einer, der über allem steht – und doch in allen Dingen drinsteckt. Der über den Dingen und Leuten ist – und trotzdem in Dinge und Leute verwickelt ist.

Eine leitende Person, die Zusammenhänge ordnet? Die ein Gespräch unterschiedlicher Menschen gestaltet, hegt und pflegt, prägt und zielführend lenkt? Das wäre ein Organisator. Ein Moderator.

Das wäre schon einmal gut, wenn wir einen solchen hätten! Aber der, den ich meine? Der müsste noch mehr können als das …

Der müsste die Richtung anzeigen können. Der müsste vorangehen in guten wie in schwierigen Tagen. Der müsste geistig gerüstet, aber auch körperlich bewaffnet sein. Der müsste in der Lage sein, seine Leute zu verteidigen, zu schützen, in eine gute Richtung voran zu bringen, vor falschen Wegen zu bewahren.

4          Der treue Menschenhüter

Ein guter Hirte müsste das also sein! Mit anderen Worten: Ein treuer Menschenhüter.

Einer, der jeden einzelnen fördert. Der jeden aufbaut und zielführend begleitet. Der die Schwachen stützt. Der für Ausgleich sorgt.

Der aber auch Starke nicht verachtet. Sondern sie ebenfalls fordert und fördert – je nach ihren Begabungen, nach ihren Leistungen.

Der grundsätzlich allen seinen Menschenkindern mit Liebe und Fürsorge begegnen. Der auf jeden und jede zugeht und eingeht.

Ein ideales Bild? Zu schön? Gibt es Parallelen? Gab es das schon einmal?

Schauen wir in die Völkerwelt. In frühere Gesellschaften. Das war damals schon so eine Art  von Hirtenkultur. Die Leute waren nämlich recht stark von Hirten – also leitenden Persönlichkeiten – geprägt. Die damaligen Zeitgenossen waren eingebettet in eine grosse, umfassende, freilich ziemlich stark abgestufte soziale Pyramide. Sie lebten unter autoritärer Führung. Aber geborgen.

War das gut? Oder nicht gut? Oder dazwischen? Lassen wir die Frage unbeantwortet im Raum stehen. Fest steht: Es war so. Und wahrscheinlich hat es wohl schon seinen Sinn gehabt.

5          Wie auf Erden so im Himmel

Frage: Könnte ein solches Führungsprinzip auch unter uns wieder eingeführt werden? Schwierige Angelegenheit. Wir sind gebrannte Kinder. Autoritäre Modelle lieben wir nicht – selbst wenn sie im Gewand des guten Hirten einher gehen.

Versuchen wir, diese Frage aus einer anderen, unerwarteten Perspektive anzugehen.

Ist das Leistungs- und Führungsprinzip – das hier auf dieser Welt ziemlich umstritten ist – vielleicht in einer höheren Welt dankbar? Gibt es überragende Hirtenfiguren etwa in der Welt der Engel?

Also dass es dort höhergestellte oder ganz ganz hochgestellte Geistwesen gibt? Die die Ordnung in der Gemeinschaft der Engel aufrecht erhalten, prägen, entwickeln? Die sagen, wohin es geht?

Gibt es unter den Engeln überhaupt gesellschaftliche Verhältnisse wie bei uns? Wenn, dann vermutlich auf sehr viel höherem Niveau.

Die Engel tun ja nicht einfach automatisch – wie Roboter – das Gute. Sondern, so perfekt sie sind, brauchen sie doch auch Führung, Anleitung, Prägung, Lenkung, Betreuung – natürlich auf einem ganz hohen Level.

Wer sind dann also die geheimnisvollen Hirten der Engel? Sind das die geheimnisumwitterten Thronwächter – also die Cherubim und Seraphim, die sogar noch über den Erzengeln stehen?

Die im Auftrag Gottes die unendliche grosse Schar der himmlischen Heere und himmlischen Chöre führen, gestalten, prägen, leiten, bewegen, beauftragen, hegen, pflegen?

Und Gott?

Ist er dann so etwas wie der alleroberste Hirte aller Cherubim und Seraphim, aller Engel, Erzengel, himmlischen Heere, himmlischen Chöre – ebenso wie er natürlich auch der gute Hirte aller Lebewesen ist, die er auf diesem Planeten geschaffen hat? Vor allem der Hirte derjenigen, die er nach seinem Ebenbild geformt hat?

6          Vater und Sohn in Hirtenfunktion

Und noch etwas: Womöglich ist Gott der Vater nicht der einzige im Himmel, der diese Hirtenfunktion ausübt? Womöglich hat er seinen Sohn dazu bestimmt, mit ihm – dem Vater – zusammen diese Aufgabe wahrzunehmen?

Und genau so ist es offenbar: Nach allem, was wir aus dem neuen Johannesevangelium Kapitel 10 wissen, ist der Sohn Gottes derjenige, der die väterliche Hirtenfunktion im Auftrag seines Vater hier auf Erden ausfüllt, verkörpert, darstellt. Und stetig weiter entwickelt – nach vorne und nach oben.

So dass schlussendlich nicht nur diese Erde, sondern der ganze Kosmos schön und harmonisch unter seiner Hirtenführung einem grossartigen Ziel entgegen geführt wird.

Was aber hat das mit uns zu tun?

Folgen wir kleinen Menschen unserem grossen Heiland Jesus Christus, so fügen wir uns in seine grosse Hirtenführung – und damit zugleich in seine grosse Weltordnung – ein.

So klein wir sind, so gross ist das Netzwerk, in das uns unser guter Hirte hinein führt.

In diesem Netzwerk dienen wir unserem Heiland – und zugleich seinem Vater, der unser aller Vater ist. Wir sind Dienerinnen und Diener des dreieinigen Gottes – ja sogar Mitglieder der göttlichen Familie!

Damit sind wir aber auch in eine partnerschaftliche Rolle in bezug auf die Engel erhoben: diese sind unsere älteren Brüder und Schwestern. Sie und wir unterstehen ja den gleichen beiden grossen guten Hirten – dem himmlischen Vater und seinem Sohn.

7          Einordnung und Fortschritt

Bist du bereit, Jesus Christus als den Hirten deines Lebens zu bejahen? Du wirst reich belohnt! Du wirst, ähnlich wie hier auf dieser Erde, auch in der künftigen paradiesischen Welt deinen Platz einnehmen. Jener künftige Platz wird dir zugewiesen, sobald du in die neue Zeit und Welt übertrittst.

Und was tust du jetzt?

Trainiere und studiere in der gesellschaftlichen „Herdengemeinschaft“, in die du jetzt hinein gestellt bist. Bilde dich fort! Tue Gutes! Baue Kontakte! Erfülle deine Aufträge! Lass dich durch die anderen trösten und aufbauen! Erfahre den Sinn und Zweck deiner Platzanweisung innerhalb der christlichen Gesellschaft, in der du stehst.

Genau damit ist ein Förderungs- und Fortschrittsprogramm verbunden. Dem sollst du dich unterziehen. Das ist wie eine Trainings-Vorstufe in bezug auf die neue Zeit und die neue Welt.

Das ist die Gemeinschaftsordnung „unter“ dem Guten Hirten. Bejahst du sie? Fügst du dich in sie? Lernst du in dieser Gemeinschaft immer wieder etwas Neues, Überraschendes? Nimmst du deinen persönlichen Spielraum innerhalb dieser Geselligkeit wahr?

Dann bist du beschützt, bewahrt, eingebettet in einen wunderbar grossartigen Zusammenhang – in einen Zusammenklang aus Mensch und Natur, Engel und Überwelt, Erde und Kosmos, Engel und Erzengeln, Cherubim und Serafim.

Und die den Zusammenklang orchestrieren – das sind die Oberhirten Gott und Jesus im Verein mit dem Heiligen Geist.

8          Und das zieht immer weitere Kreise

„Jesu Schäflein“ zu sein bedeutet, Jesu Mitarbeiter oder Mitarbeiterin zu sein, der oder die fortschreitend zu höheren Aufgaben vorangebracht und motiviert wird.

„Jesu Schäflein“ zu sein bedeutet, in einem zunächst kleinen – und dann immer grösseren Kreis eingebettet und geborgen zu sein.

In diesem Kreis sind auch verstorbene gläubige Seelen mit dabei, die auf ihre Auferstehung warten. Sie sind ebenfalls in der riesengrossen Herde, die Himmel und Erde umspannt und Jesus als Oberhirten anerkennt, der im Auftrag des ewigen Vaters seines Hirtenamtes waltet.

„Jesu Schäflein“ zu sein bedeutet also mit anderen Worten: Du bist ein Herz und eine Seele mit allem, was lebt. Ein Herz und eine Seele mit allem, was ein menschliches Antlitz trägt – ob hier auf dieser Erde oder in der parallelen Welt. Du bist ein Herz und eine Seele mit Himmel und Erde. Ein Herz und eine Seele mit Kosmos und Weltall. Und vor allem: Du bist ein Herz und eine Seele mit dem Führer und Lenker des Kosmos namens Jesus Christus.

„Jesu Schäflein“ zu sein bedeutet: Du wirst von Gott und Jesus als deinen beiden Oberhirten begleitet, geführt, gesegnet, aufgebaut, getröstet, bewegt, motiviert, gefordert, gefördert, geprägt, angeregt und befriedet.

Christus ist der gute Hirte, Amtswalter, Fürsorger in jeder einzelnen Sache, die er tut und vertritt. Und zwar auf besondere Weise macht er das gut.

Als guter Hirt ist er weicher und zarter als ein König, natürlicher als ein Fürst, beweglicher als ein Beamter, liebevoller als ein Arzt, kräftiger als ein Feldherr.

Im Bild des guten Hirten greifen unwahrscheinlich viele menschenfreundliche Eigenschaften ineinander und ergeben ein herrliches Gesamtbild.

„Ein Hirte – eine Herde“ – welch eine Schönheit, Anmut und Stärke. „Ein Hirt – eine Herde“ – welch eine Gemeinschaft, Kraft und Höhe. „Ein Hirt – eine Herde“ – welch eine Führungsmacht und Gestaltungskraft. „Ein Hirt – eine Herde“ – welch ein Verständnis und Mitgefühl!

Er für uns und wir für ihn! Da passt kein Blatt Papier dazwischen. Amen

Weihnachtliche Dialogpredigt vom 23.12.2021

Dialogpredigt Pfr. Gottfried Spieth – Praktikant Martin Wieland

Oekumenische Weihnachtsfeier St. Katharinental 23.12.2021

 

 

Predigt von Pfarrer Thomas Hilsberg zum Gottesdienst vom 4. Advent

 

1. Mose 18, 1-15

Und der HERR erschien ihm im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war. Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde uns sprach: Herr, habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber. Man soll auch ein wenig Wasser bringen, euere Füße zu waschen, und lasst euch nieder unter dem Baum. Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiterziehen. Denn darum seid ihr bei euerem Knecht vorübergekommen. Sie sprachen: Tu, wie du gesagt hast.

Abraham eilte in das Zelt zu Sara und sprach: Eile und menge drei Maß feines Mehl, knete und backe Brote. Er aber lief zu den Rindern und holte ein zartes, gutes Kalb und gab es dem Knecht, der eilte und bereitete es zu. Und er trug Butter und Milch auf und von dem Kalb, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor und blieb stehen vor ihnen unter dem Baum, und sie aßen.

Da sprachen sie zu ihm: Wo ist Sara, deine Frau? Er antwortete: Drinnen im Zelt. Da sprach er: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr, siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben. Das hörte Sara hinter ihm, hinter der Tür des Zeltes. Und sie waren beide, Abraham und Sara, alt und hochbetagt, sodass es Sara nicht mehr ging nach der Frauen Weise. Darum lachte sie bei sich selbst und sprach; Nun, da ich alt bin, soll ich noch Liebeslust erfahren, und auch mein Herr ist alt!

Da sprach der HERR zu Abraham: Warum lacht Sara und spricht: Sollte ich wirklich noch gebären, nun, da ich alt bin? Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen übers Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben. Da leugnete Sara und sprach: Ich habe nicht gelacht -, denn sie fürchtete sich. Aber er sprach: Es ist nicht so, du hast gelacht.

Advent! Ankunft. Gott kommt zu den Menschen. Hier kommt er zu Abraham.

Es ist früher Nachmittag, und die Sonne brennt heiß vom Himmel. Abraham macht Siesta. Vernünftigerweise. Er sitzt im Zelteingang. Da hat er Schatten, und gleichzeitig frische Luft. Wahrscheinlich ist er ein Bisschen eingenickt. Als er die Augen öffnet und aufsieht, bemerkt er: Ich kriege Besuch!

Der Herr ist im Anmarsch. Und dann stehen drei Herren vor Abraham. Aber sie reden wie mit einem Mund. Christliche Ausleger haben später in dieser Erscheinung den dreieinigen Gott erkannt: Den Vater, der über uns ist. Den Sohn, der später einer von uns wird. Und den Geist, der in unseren Herzen wohnt. Doch zusammen nur ein Gott. Der aber schon im Hebräischen mit einer Pluralform benannt wird: Elohim.

Der Allmächtige, der Unsichtbare, in Gestalt von drei hungrigen Wanderern? Offenbar gilt auch hier: Nichts ist unmöglich. In ein paar Tagen feiern wir ein Ereignis, das ist noch ungleich schräger, noch unmöglicher: Der Geist, der das Universum regiert, liegt in einem leeren Fresstrog und kackt die Windeln voll.

Abraham kriegt göttlichen Besuch. Müssen wir auch mit solchen Erlebnissen rechnen? Ausschließen können wir das nicht. Der Hebräerbrief fordert uns auf: Seid gastfreundlich! Denn da haben schon welche, ohne es zu merken, Engel beherbergt.

Noch deutlicher wird der Herr Jesus selbst. Er kündigt an: In den Not leidenden Mitmenschen kommt er selbst zu uns. Ob wir Kranke besuchen, mit Hungrigen teilen, Gefangenen was zustecken, oder ob wir es nicht tun, das haben wir ihm getan. Oder eben nicht.

So gesehen handelt Abraham absolut richtig. Er eilt den Besuchern entgegen. Er begrüßt sie äußerst respektvoll. Und er lädt sie ein, zu bleiben. Abraham denkt an alles: Ein Fußbad nach dem Marsch in der Hitze. Ein schattiges Plätzchen zum Ausruhen. Und eine kleine Stärkung für den weiteren Weg. Ein Stückchen Brot. Sagt er. Und dann muss seine Frau schnell Kuchen backen. Der Knecht muss ein zartes Kalb zu Geschnetzeltem verarbeiten. Und der Chef selbst kümmert sich um die Sahnesoße. Nein, Rösti gibt`s keine dazu. Dazu mussten sie erst Amerika entdecken, wegen Kartoffeln. Also Brotfladen. Trotzdem ein echtes Festmahl.

Und dann fragen die Gäste nach der Hausfrau: Wo ist Sara? – Drinnen. Im Zelt. Wie bei Schiller: Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau. Sie wissen, wie es bei Schiller weitergeht? Die Mutter der Kinder / und herrschet weise / im häuslichen Kreise / und lehret die Mädchen / und wehret den Knaben… Nur passt das jetzt nicht mehr. Kein Mädchen zu lehren, und kein Knabe zu disziplinieren. Sara und Abraham sind jetzt in einem Alter, wo sie Enkel haben könnten. Ach was, Urenkel! Aber die beiden sind leider unfreiwillig kinderlos. Obwohl Gott dem Abraham doch einen Stammhalter versprochen hatte.

Das heißt, da gibt es ein dunkles Familiengeheimnis. Abraham hatte gemeint, er müsse Gottes Verheißung selbst in die Hand nehmen. Er hatte Saras Zofe Hagar zu seiner Nebenfrau gemacht. Beziehungsweise er hat sie als Leihmutter missbraucht. Da gibt es einen Sohn. Aber davon ist hier nicht die Rede. Der Herr wiederholt hier seine Verheißung. Und er sagt auch ein klares Datum: Nächstes Jahr um diese Zeit komme ich wieder. Und dann wird Sara, deine Frau, einen Sohn haben.

Sara steht hinter dem Zelteingang und lauscht. Und von dort hört man es glucksen und kichern. Jaja, Sara ist immer noch ein heißer Feger. Aber das sind bei ihr inzwischen mehr die Hitzewallungen. Ihr ging es nicht mehr nach der Frauen Weise, übersetzt Luther. Lächerlich, die Vorstellung, noch Nachwuchs zu bekommen. Nun, da ich alt bin, soll ich noch Liebeslust erfahren, denkt sie. Da hat man so ein uraltes Paar vor Augen, die händchenhaltend auf der Parkbank sitzen und sich fragen: Gehen wir in mein Altersheim, oder in deins? Für Sara offensichtlich ein erheiternder Gedanke. Aber nicht nur sie ist schon etwas über ihre besten Jahre hinaus, denkt sie sich. Auch mein Eheherr ist alt! Hast du noch Sex, oder spielst du schon Golf? Für Abraham scheint diese Frage beantwortet zu sein.

Da werden Saras belustigten Gedanken jäh unterbrochen. Gott fragt den Abraham: Was hat Sara denn da zu lachen? Und warum sagt sie sich: Sollte ich wirklich noch gebären, jetzt, da ich alt bin? Das versucht die Gute hier zu leugnen: Ich habe doch nicht gelacht! Aber damit kommt sie nicht durch. Wenn überhaupt einer Gedanken lesen kann, dann Gott selbst. Du hast gelacht, sagt er, und das ist hier ein Vorwurf. Ja, es gibt viel zu lachen im

Leben. Vieles, das unfreiwillig komisch ist. Gute Witze und total absurde Situationen. Da kann man sich drüber amüsieren. Wir Christen müssen nicht zum Lachen in den Keller gehen. Wir müssen uns zum Lachen auch nicht im Beduinenzelt verstecken wie Sara.

Aber hier ist eben eine Grenze überschritten worden. Gott hat ein ganz klares Versprechen gegeben. Da dürfen wir uns drüber freuen. Und uns drauf freuen, wie er es erfüllen wird. Da ist Vorfreude angebracht, jawohl. Aber kein Spott. Kein ungläubiges, hämisches Kichern. Kein verlegenes Lachen, weil man es im tiefsten Herzen doch nicht glaubt.

Deshalb hat sich Sara hier diese Zurechtweisung von allerhöchster Stelle eingefangen. Aber damit ist die Sache gut. Es bleibt bei Gottes Verheißung, die hier nochmals ausdrücklich wiederholt wird: Übers Jahr soll Sara einen Sohn haben. Und den beiden alten Leuten wird noch eine gute theologische Lehre mitgegeben: Sollte Gott irgendwas unmöglich sein?

Das sollten wir mitnehmen: Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein? Nein und nochmals nein! Bei Gott gilt: „Geht nicht gibt´s nicht!“ Wie unsere Vorfahren zu sagen pflegten: „Unsere Verlegenheiten sind Gottes Gelegenheiten“. Natürlich, Gott erhört nicht jedes Gebet so, wie wir es gern hätten. Aber wenn er was verspricht, dann dürfen wir fest damit rechnen, dass es passiert. Bonhoeffer hat das schöne Wort gesagt: „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber er erfüllt alle seine Verheißungen“.

Um noch jemanden zu zitieren: „Wir können mit Gottes Verheißungen rechnen wie mit Zahlen“. Liebe Sara, wenn Gott dir verspricht, dass du in einem Jahr Mami bist, dann solltest du ihn nicht auslachen. Dann darfst du in Vorfreude vergnügt sein. Und auf jeden Fall solltest du schon mal damit anfangen, Babysachen zu häkeln.

Wie wir wissen, hat Gott Wort gehalten. Isaak kam pünktlich zur Welt. Von ihm stammt das Volk Israel ab. Und rund tausendachthundert Jahre später kam in diesem Volk Christus zur Welt. Auch eine Sache, die Gott durch viele Propheten vorher angekündigt hatte. Dass er in Bethlehem zur Welt kommen würde. Und dass er in Jerusalem leiden und sterben würde. Und dass das passieren muss, damit wir durch seine Wunden geheilt würden.

In der Tat sind hunderte von biblischen Prophetien inzwischen erfüllt.

Und ein paar stehen noch aus. Im Wesentlichen beziehen die sich auf das Wiederkommen von Jesus, das letzte Gericht und den neuen Himmel und die neue Erde, die Gott schaffen wird.

Das ist das eigentliche Thema der Adventszeit. Nein, wir warten nicht auf Weihnachten. Wir warten auch nicht auf ein Christkind, das alle Jahre wiederkommt, um uns mit Äpfeln, Nüss´ und Mandelkern zu erfreuen. Wir warten drauf, dass Jesus wiederkommt. Nicht in einem Kaff in Judäa als Baby, sondern diesmal so, dass es die ganze Welt mitkriegt. Advent heißt: Wir warten auf Jesus, den Herrn, den Richter und Retter der Welt!

Wir warten auf den, der wiederkommt, um das Böse endgültig zu entmachten. Der den Bösen und die Bösen gleich mit abserviert. Wir warten auf den, der aller Korruption und allem Machtmissbrauch und allem Unrecht ein Ende macht. Wir warten auf den, der Hunger und Krieg für immer beseitigt. Wir warten auf das neue Jerusalem, wo Gott selbst wie ein netter Nachbar unter seinen Menschen lebt. Auf das ewige Leben auf einer neuen Erde, unter einem neuen Himmel, so, wie es Gott verheißen hat.

Wir wissen nicht, wann es so weit ist.  Da haben wir kein Datum. Keine Verheißung, die sich übers Jahr erfüllen wird, wie Abrahams Kinderwunsch. Der letzte Tag wird kommen, wie ein Dieb in der Nacht: Überraschung! Die tollste Überraschung für alle, die sich drauf freuen, die auf Jesus hoffen und die sich nach Gerechtigkeit sehnen. Eine sehr, sehr unangenehme Überraschung allerdings für alle, die im Aufstand gegen Gottes Gebote leben. Für die wird er als Richter kommen.

Übrigens: Wenn wir das Kapitel hier im ersten Mose weiterlesen, sehen wir: Das war damals schon so. Der Herr ist hier auf dem Weg nach Sodom. Auch dorthin kam er als Richter uns Retter. Den halbwegs frommen Lot und seine Familie hat er gerettet. Über Sodom und die Nachbarstadt Gomorrha hat er Feuer und Schwefel geschüttet. Die hatten es mit ihrer Gottlosigkeit nämlich übertrieben. Eine himmlische Aktion, die zeigen soll, was am Ende kommt.

Wir Christen warten drauf. Und wir beten drum. Täglich: Dein Reich komme! Und erlöse uns von dem Bösen! Und wir sollten fest damit rechnen, dass Gott unsere Gebete erhört. Dass er seine Verheißungen erfüllt. Dass Christus wiederkommt.

Und das ist doch auch unsere einzige Hoffnung. Wir Menschen reiten die Welt doch immer tiefer in die Grütze. Die Regenwälder brennen. Die Meere steigen. Das Virus mutiert. Und die Mullahs bauen die Bombe. Ich glaube nicht, dass wir alle Probleme in den Griff kriegen werden. Und ich glaube erst recht nicht, dass wir selbst den Himmel auf Erden schaffen werden.

Aber ich glaube, dass Christus wiederkommen wird. Ich glaube, dass Gott alle seine Verheißungen erfüllen wird. Ich glaube, dass er das mächtig vollenden wird, was er in Bethlehem ganz klein angefangen hat. Wir brauchen den Erlöser.

Aber nehmen wir das wirklich ernst? Der einsame Prophet, der mit dem Schild rumläuft: Das Ende naht!, der ist eine Witzfigur. Die Hoffnung auf einen kommenden Christus, das ist für Viele heute lächerlich. Erwählung und Verwerfung, Gericht und Gnade, Himmel und Hölle, das ist für die Meisten eine einzige Lachnummer.

Und damit sind wir wieder bei der alten Sara. Die stand hinter der Zeltwand und konnte über Gottes Verheißungen nur kichern. Doch ein paar Monate später hat sie es besser gewusst. Lernen wir von ihr!

Ja, wir dürfen Weihnachten feiern. Mit Corona-Auflagen, leise rieselndem Schnee und kitschigen Engelchen. Mit fetter Weihnachtsgans und noch fetterem Weihnachtsmann. Mit Familienkrach und teuren Geschenken und einem rotnasigen Rentier. Das Schlimmste ist: In Deutschland sind bis zum 10. Januar die Geschäfte zu. Wir können also nicht mal die Geschenke umtauschen gehen. Falls wir überhaupt noch welche gekriegt haben. Das alles gibt viele Gründe zur Satire. Da gibt es viel zu lachen. Wie der große Journalist Horst Stern mal festgestellt hat: „Es gibt Dinge, die kann man nur albernd ertragen“. Und das darf man auch.

Aber hüten wir uns davor, in den allgemeinen Spott über unseren Glauben einzustimmen. Machen wir nicht mit, wenn die Gebote Gottes verhöhnt werden. Und machen wir uns nicht mit über Gottes Verheißungen lustig! Wenn es um Gottes Wort geht, da ist schon ein müdes Grinsen zu viel!

Nein, was wir brauchen, ist zuversichtliche Freude. Freude darüber, dass Gott uns in Christus so nahe gekommen ist. Vorfreude auf sein Kommen.

Im Moment gibt es wirklich nicht allzu viel zu lachen. Die Pandemie vermiest uns viel. Sie kann auch junge Leute hart treffen; wir haben es in der Familie erlebt. Eine echt heimtückische Krankheit, – kein Wunder, wenn das Virus schon so aussieht wie eine Seemine. Die Gegenmaßnahmen haben Nebenwirkungen: Urlaubspläne, Beziehungen und ganze Existenzen werden zerstört. Das ist alles andere als lustig.

Aber wir haben Hoffnung. Die Hoffnung auf Jesus Christus. Die Hoffnung darauf, dass er kommt und alles gut macht. Ja, denen, die seine Versöhnung ablehnen, die gierig und brutal und rücksichtslos an Gott vorbeileben, denen wird am Ende das Lachen vergehen.

Aber für die Erlösten des Herrn gilt, was im 126. Psalm gesagt wird: Ihr Mund wird voll Lachens und ihre Zunge voll Rühmens sein. Und deshalb ist auch in diesen Zeiten Vorfreude angebracht. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch eine zuversichtliche Adventszeit. Und ein frohes Christfest!

 

Pfr. Thomas Hilsberg

Andacht zu Auffahrt 21. Mai 2020

Liebe Gemeinde

Liebe Leserinnen und Leser

Auffahrt – was für ein herrlicher Tag! Und doch – wie schwer verständlich! Der humorvolle Pfarrer Zwick unternahm den Versuch, es der damaligen sechsten Klasse beizubringen, zu der auch ich gehörte. Lang ist`s her. Seine Strichmännchen, flugs an die Tafel gezaubert, gewürzt mit launigen Kommentaren, haben uns belustigt und erfreut. Zugleich liessen sie mich etwas ratlos zurück. Ein bisschen wähnte ich mich wie in einem düsteren Nebel. Was mich verwirrte, war jene rätselhafte Wolke, in welcher Jesus bei seiner Himmelfahrt zu entschwinden drohte.

Erst viel später gewann ich einen helleren Zugang zu diesem Fest. Das war bei einem Gottesdienst in der St. Hedwigs-Kathedrale zu Berlin. Hier wurde alles aufgeboten, was Stimmen und Instrumente leisten können zum Lobe Gottes. Im brausenden Klang der Lieder, im klingenden Spiel des Orchesters, zwischen Trompeten und Fanfarenstößen vernahm ich Worte von Psalm 47. Und plötzlich wurde vieles klarer als zuvor.

„Der Herr steigt empor beim Hall von Posaunen.

Es freue sich der Himmel, und die Erde jauchze ihm zu.

Ihr Völker, klatscht in die Hände!

Gott stieg empor unter Jubel, der Herr beim Schall der Hörner.

Singt unserem Gott, ja singet ihm. Spielt unserem König, ja spielt ihm!

Denn König der ganzen Erde ist Gott. Spielt ihm ein Weisheitslied!

Gott wurde König über alle Völker, er sitzt auf seinem heiligen Thron. Halleluja!“

Wer ist die Person, die hier gefeiert wird? Natürlich Gott. Aber auch sein Sohn: Er steigt zum Weltenherrscher auf. So gesehen, passt der Psalm zur Auffahrt des Jesus von Nazareth – und zu dessen Laufbahn bis hin zu höchsten irdischen und himmlischen Ehren. Und wir? Wahrscheinlich stimmen wir staunend und bewundernd in die Hochrufe ein. Aber wo stehen wir? Doch nicht „dort droben“. Sondern wo? Natürlich hier auf der Erde!

Und die wird keineswegs abgewertet. Das ist wichtig anzumerken. Unsere Welt mitsamt ihren vielen Völkern wird an Auffahrt weder kaltgestellt noch schlechtgeredet. Sondern sie ist weiterhin von höchstem Interesse. Hier leben wir gut und gerne. Mit beiden Beinen stehen wir auf dem Boden dieser Tatsachen. Das ist so gewollt von unserem Herrn. Sonst hätte er uns gleich mitnehmen können, als er aufbrach von dieser Erde – und diese irdische Welt auflösen und entsorgen können. Hat er aber gerade nicht gemacht!

Ebenso wenig bedeutet Auffahrt, dass Jesus sich selber verflüchtigt oder aufgelöst hat. Er ist nicht entschwunden in ein unbestimmtes Dasein oder in ein fernes Traumland. Im Gegenteil. „Auf-Fahrt“ kann man schlicht und einfach übersetzen mit „Über-Fahrt“. Und diese Überfahrt war für Jesus weder langwierig noch hat sie lange gedauert. Ist er also nur kurz um die Ecke abgebogen? Ist er in eine ähnliche, volle, pralle – aber eben parallele – Welt abgezweigt? Für diese Deutung spricht einiges. Diese parallele Welt geht kreuz und quer durch unsere Welt hindurch. Mit vielen Berührungs­punk­ten. Mit vielen Brückenschlägen hinüber und herüber.

Weil Jesus überhaupt nicht weit entfernt ist von uns, sind unsere Gedanken, Empfindungen und Gebete so nahe dran an ihm und in seinem Herzen. Deshalb ist uns seine Stimme auch so lieb und vertraut, die zu unseren Herzen und Gewissen spricht – und die aus seinem Wort so frisch und lebendig zu uns herüberklingt. Eben aus der Bibel ruft er uns zu:

„Ich unterstütze euch! Ja, ich komme bald zu euch zurück. Habt Geduld! Ich bin schon kräftig am Vorbereiten. Handelt, bis ich wiederkomme! Tut in der Zwischenzeit, was ihr könnt. Bezeugt meinen Namen und meine Botschaft. Lehrt und tauft alle Völker. Tretet für meine Gerechtigkeit ein. Kämpft für das Gute und gegen das Böse. Begeht keine Weltflucht, sondern habt eure Heimat lieb. Und habt zugleich das grosse Ziel vor Augen, zu dem ihr berufen seid!“

In ähnlicher Weise hält der Meister mehrere Abschiedsreden an seine Schüler und Jünger, bevor er ihren Blicken entzogen wird, siehe zuletzt Matthäus Kapitel 28, 18-20.

Hören wir die Stimme des Meisters? Fühlen wir seine Liebe? Spüren wir seine Zeichen und seine Ausstrahlung? Auf, trauen wir ihm und seinem unsichtbaren Segen! Oft wird sein unsichtbarer Segen sogar sichtbar und messbar – und kann dann umgesetzt werden im normalen Alltag, in unseren Familien, in unserem Volks- und Kulturleben.

Was wir brauchen, ist Geduld. Einst kommt der Tag, an dem die Schranken aufgehoben werden, die uns jetzt noch trennen. Dann kommt der Heiland mit allen seinen himmlischen Kräften und Mächten zurück auf unseren Planeten Erde. Hier richtet er sich dann von neuem wohnlich ein – mitten unter uns. Dann wird alles zurechtgebracht, was jetzt noch krank und krumm, schlecht und falsch läuft. Dann erstrahlt die Welt in neuem Glanz. Dann sehen wir ihn von Angesicht zu Angesicht, und dann ist Freude ohne Ende …

Herr Jesus Christus, du bist glanzvoll heimgekehrt zu deinem Vater. Für deine Wertschätzung danken wir dir, die du uns weiterhin unaufhörlich entgegenbringst.

Wir bitten dich für jung und alt, für unsere Familien und für alle Kranken und Einsamen, be­son­ders in den Heimen: Dass wir einander begegnen in herzlicher Liebe und neuer Zuversicht.

Wir bitten, dass die neuen Lockerungen in der heutigen Corona-Situation zu einem achtsamen Umgang miteinander führen, um den vielen Betroffenen bald wieder eine Perspektive zu ermöglichen.

Wir bitten für Notleidende und Verfolgte in aller Welt, dass Hass und Krieg ein Ende nehmen, damit Frieden und Gerechtigkeit Einzug halten. Bringe die Schöpfung deines Vaters wieder zurecht, indem du zurückkehrst zu uns, Jesus Christus, unser Herr und Befreier, Amen.

1   Gen Himmel aufgefahren ist, Halleluja

      der Ehrenkönig Jesus Christ. Halleluja

4    Drum jauchzen wir mit grossem Schalln, Halleluja

      dem Herren Christ zum Wohlgefalln. Halleluja

2   Er sitzt zu Gottes rechter Hand, Halleluja

     herrscht über Himmel und alle Land. Halleluja

5   Der Heiligen Dreieinigkeit, Halleluja

     sei Lob und Preis in Ewigkeit. Halleluja

3   Nun ist erfüllt, was gschrieben ist, Halleluja

     in Psalmen von dem Herren Christ. Halleluja

                    Gesangbuch 491

Andacht zum Gebetssontag vom 17. Mai 2020

Besinnung zum Sonntag des Gebets

Liebe Gemeinde!
Liebe Leser in der Nähe und in der Ferne!

Was hat den höchsten Stellenwert in unserem Leben? Die Familie? Der Beruf? Der gute Ruf, den wir uns erarbeitet haben? Oder ist es die Religion? Die Bibel schlägt vier Grund¬sätze vor: „Dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung“ (1. Timotheus 2,1).

Diese goldenen Vier – entsprechen sie nicht den vier Hauptglocken¬ unserer Stadtkirche? Sie lenken mehrmals täglich unsere Gedanken nach oben. Dieser Bezug zu Gott war offenbar unse¬ren Vor¬fah¬ren sehr wichtig; das wird vor den Toren unserer Gemeinde sichtbar an den beiden Klö¬stern St. Katharinental und Para¬dies. Was waren das für Kraft¬orte, gesegnet mit einem enor¬men Gebets¬pro¬gramm und einem ebenso grossem Zulauf! Allerdings wurde in spä¬te¬rer Zeit der gesell¬schaft¬li¬che Nutzen der Klöster angezwei¬felt, und die Zahl der Non¬nen und Mönche nahm entsprechend ab. Die letzten Kloster¬frau¬en wurden 1869 aus St. Ka¬tha¬ri-nen¬tal hinaus¬kom¬pli¬men¬tiert. Der geheimnisvolle Segen dieser Orte aber hat sich erhalten.

Deshalb zieht es Wirtschafts¬führer und Mana¬ger ebenso wie normale Leute wiederum ins Kloster. Sie suchen dort eine Auszeit und Energiezufuhr. Hat jemand von Ihnen und Euch das miterlebt? Womöglich wan¬derten wir auf einem Pilger¬weg. Und was geschah am Ziel? Ent-spannt erfreuten wir uns an den Köstlichkeiten der Kloster¬küche. Dann breitete sich tiefe Stille aus. In einer Medi¬ta¬tion ord¬ne¬ten wir die Gedan¬ken. Waren wir zuvor innerlich aus¬ge-brannt, trat jetzt die Wende ein: Aus sehr wenig geistigem Brennstoff entstand in schöp¬fe¬ri-scher Ruhe eine grosse Umwandlung. Ich hörte von Mitmenschen, die einen unwahr¬schein-lich gesteigerten Segen emp¬fingen – ausgerechnet hinter Klostermauern!

Und diejenigen unter uns, die den Drang nach Kraft¬orten kaum in sich verspüren? Ich glaube, auch sie könnten etwas anfangen mit der vierfachen Empfehlung des Apostels: Bittet, betet, dankt, tut Für¬bitte! Ganz gleich, wie wir ver¬anlagt sind, ob religiös oder nicht: Genies¬sen wir doch einmal unseren Rück¬zugs¬raum, ob mit oder ohne Ker¬ze. Das ist unsere enorme Wachs-tums¬zone. Da fangen wir klein an. Und kommen später wieder sehr viel grösser heraus.

Manchmal ge¬nügt ein einziger Gedanke, in der Stille geboren, demütig, bescheiden. Aus ihm wird ein Anliegen geformt, fein und kräftig. Das bringen wir vor Gott. Als Bitte. Als Gebet. Als Für¬bitte. Als Danksagung. Denk daran: Es sind deine Gedanken. Deine Anliegen. Sie drängen förmlich aus dir heraus. Darum schät¬¬¬ze, schütze, liebe sie. Hege und pflege sie. Gib ihnen Zeit, dass sie sich hell und klar entfalten, dynamisch und kämpferisch. Bringe sie zu Papier. Was betend du geschrieben hast, ist dein innerliches Eigentum. Es ist dir sehr, sehr kost¬bar. Deshalb schenkst du es keinem geringerem als dem Allmächtigen zu treuer Verwaltung.
Womöglich gehen dir dabei die Augen auf? Der Himmel ist ja nicht einsam und leer. Im Ge-genteil: Er ist überaus lebendig und bevölkert. Je näher wir zum Thron des Ewigen vor¬stos¬sen mit unseren Bitten, Gebeten, Fürbitten und Danksagungen, desto drama¬ti¬scher wird es zwischen Himmel und Erde. Dort drüben ist eine geheimnisumwitterte Welt, die du bis¬her noch wenig durchforscht hast. Sie hat einen unerschütterlich festen Bestand. Und sie hat überaus wuchtige, urwüchsige Aus¬wirkun¬gen auf dich. Und mich. Und auf diese ganze Erde.

Achten wir einmal auf die erhabenen vier Thron¬wächter, die im letzten Buch der Bibel ge-schil¬dert werden: Löwe, Stier, Mensch und Adler. Achten wir ebenso auf jene 24 ehrwürdi-gen Ältesten, die den Thronrat Gottes bilden (Offenbarung Kapitel 4). Ich frage: Sind jene ge-heim¬nis¬vollen Lebe¬we¬sen und Persön¬lich¬keiten etwa unsere Mitkämpfer und Mitstreiter? Sind sie mitver¬ant¬¬wort¬lich für den Erfolg unserer Gebete? Verbes¬sern sie unsere Gedanken? Ja, sie bringen sie in eine schärfere, durchschlagend wirksame, geschliffene Form …

Ich finde das ein grossartiges Bild: Unsere Bitten, Gebete, Für¬bit¬ten und Danksagungen werden veredelt in einen herrlich duftenden Weih¬rauch, der in höhere Sphären aufsteigt: „Und ein jeglicher hatte eine Harfe und goldene Schalen voll Räucher¬werk, das sind die Gebete der Heiligen.“ Wobei hier nicht nur besonders ausgeprägte Heilige gemeint sind. Sondern alle getauften und glaubenden Christenmenschen sind eingeladen: Wir alle sollen unsere Gebets¬meinungen und -¬anliegen umwandeln lassen in einen himmlischen Wohlgeruch vor Gottes Thron (Offenbarung Kapitel 5,8 und 8,3-5).
Angesichts solch glänzender Aussichten kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein solches Beten ins Leere läuft. Im Gegenteil: Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksa-gun¬¬¬gen sind die am meisten kraftgeladenen Worte dieser Erde. Nicht umsonst verheisst Jesus Chri¬stus, dass wir unbedingt Gehör finden am höheren Ort: „Alles, was ihr bittet in eurem Gebet – glaubt nur, dass ihr´s empfangt, so wird´s euch zuteil!“ (Markus 11,24)

Gestärkt durch diese Verheissung unseres Heilandes, rufen wir mit frohem Mut:

Barmherziger Gott, wir danken dir für deine Wertschätzung und Wegbeglei¬tung in guten und schweren Tagen. Die meisten von uns sind einigermassen glücklich und zufrieden. Allein das ist ein Grund zum Danken. Zumal wir auch unsere Sorgen bei dir bestens aufgehoben wissen.

Wir bitten dich für unsere Familien, Freundes¬kreise und Vereine: Dass wir die gute Gemein-schaft weiter entwickeln. Wir bitten für unsere Kinder, Enkel und alle jungen Men¬schen: Dass sie ihren Weg finden in Verant¬wortung vor dir. Wir bitten für alle Kranken und Einsamen, besonders in den Heimen: Dass sie einen neuen Anfang mit neuen Kräften finden.

Wir bitten für alle Verantwortungsträger im Städtli, Kanton und Bund: Dass sie ihre Auf-gaben sachgerecht wahr¬neh¬men und die Grundsätze der zehn Gebote berück¬sich¬tigen. Wir bitten für alle Mitarbeiter der Kirchen: Dass sie die frohe Botschaft deines Sohnes gern verkündigen.

Wir bitten für Notleidende, Hungernde, Verfolgte und Unter¬drückte in anderen Ländern: Dass Hass und Krieg ein Ende nehmen, damit Frieden und Gerechtigkeit Einzug halten im Namen deiner ewig gültigen Werte und Ordnungen.

Wir bitten für deine ganze Schöpfung: Für Berge, Felder und Wälder, Seen und Flüsse, dass unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten und, falls sie zerstört wurden, wieder ins Lot gebracht werden – durch die Rückkehr deines Sohnes auf unseren Planeten.

Das alles bitten wir dich, Vater im Himmel, durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren König und Herrn, der mit dir und dem Heiligen Geist herrscht und lebt in Ewigkeit, Amen.

Andacht zum Muttertag 10. Mai 2020

File Size 155.02 KB
Downloads 39

Liebe Gemeinde! Liebe Gäste !

Was sind die grössten Kräfte, die wir kennen? Die Naturgewalten? Die Liebe? Die Fort­pflanzung von Generation zu Generation? Und gibt es da etwa einen Zusammenhang? Seit andert­halb Wo­chen beherberge ich im Pfarrbüro vier kleine Kätzchen. Was für ein herz­er­greifendes Bild ist das, wenn sie bei der Mama liegen und Milch trinken! Die Kleinen sind gerade da­bei, die Äug­­lein aufzutun. Ich komme aus dem Staunen nicht her­aus, wenn ich dieses Wun­der des Lebens betrachte: Von Tag für Tag entwickelt es sich weiter, Schritt für Schritt, von Stufe zu Stufe.

Heute feiern wir einen Tag, der die Grundsätze dieses lebendigen Wachs­­tums wie kaum ein zweiter verkörpert. Heute denken wir daran, was unsere Mütter leisteten, als sie uns unter Einsatz ihres Lebens zur Welt brachten. Uns ernährt und gestillt haben. Uns mit Liebe über­schütteten. Mit Wär­me be­hü­­te­ten. Die ersten Schrit­te des Laufens beibrachten. Mit Rat und Tat ins Leben hinausbegleiteten.

Die Mütter sind es wert, dass wir sie am heutigen Tag besuchen. Sie mit Blumen erfreu­en. Zur festlichen Kaffeetafel einladen. Oder zu einer Ausflugs­fahrt. Oder zu beidem. Und alte Fotos be­trach­­ten. In Erin­ne­rungen schwelgen. Einen Psalm miteinander beten. Denn sind es nicht unsere Mütter gewesen, die uns einst am Kinderbett das Beten lehrten?

Wie gut tun den Müttern solche Begegnungen wie heute! Damit geben wir ihnen ein Stück von dem zurück, was sie uns damals schenk­ten. Und das baut beide auf, sie und uns. Natür­lich können wir ihnen nicht alles zurückgeben, was sie uns auf den Weg mitga­ben. Erst recht können wir unserem Schöp­fer nicht all das Gute und Schöne zurück­er­stat­ten, das er uns an­vertraut hat. Aber symbolisch können wir schon einiges zurückgeben. Oder sogar recht viel? Und zwar in Form der Danksagung. Steckt darin nicht eine riesengrosse Schwungkraft und eine gewaltige Ener­gie? Gehört nicht der Dank zu den ganz gros­sen Kräften der Schöpfung? So ist es: Neben der Mutter­liebe ist der Dank die zweite Säule des Lebens.

Der Dank erfüllt eine enorme Aufgabe im Alltag: Er sorgt für einen Aus­gleich der Gefühle: So dass wir innerlich in eine auf­ge­räum­te Stim­mung kommen. So dass wir nicht mehr jam­mer­voll in Sack und Asche umherlaufen oder Trübsal blasen. Genauso wenig haben wir es nötig, Luft­schlös­ser zu bauen. Sondern durch die Kraft der Dankbarkeit finden wir Maß und Mitte. Dankbar sind wir für das, was wir haben. Zufrieden sind wir mit dem, was uns anvertraut wurde von unseren Eltern, Lehrern, Lehrmeistern und natürlich vor allem von Gott. Und wir grämen uns nicht über das, was wir nicht erreichen konnten.

Ein Weggefährte gab mir einst den Rat: „Danken schützt vor Wanken.“ Wie recht er damit hatte! Danken schützt vor Wankelmut, Hochmut und Kleinmut. Wer dankbar ist, ge­winnt innere Ruhe und Sicherheit. Wie gelassen ist doch ein dankbarer Mensch! Er ruht in Gott und in sich selbst. Ist geschützt vor sprunghaften, unüberlegten Handlungen. Wird bewahrt vor Torheiten und Halbheiten aller Art.

Dieses Sprichwort hat noch einen zweiten Teil. Vollständig lautet der Satz: „Danken schützt vor Wanken – und Loben zieht nach oben.“ Was macht solch ein Lob? Es verstärkt und steigert den Dan­k. Das Lob setzt immer noch eins drauf: Es malt den Dank in ganz satten, dichten, intensiven Farben. Das Lob multipliziert den Dank – und lädt ein zu frischen Taten.

„Liebe Mutter, wie herrlich war der Sonntagsbraten, den du früher immer herbeigezaubert hast, garniert mit den köstlichsten Beilagen und einem Dessert, das weltweit seinesgleichen sucht. Willst du es heute wieder zubereiten? Lieber Vater, das Wettrennen mit dem Motor­boot war ein­same Spitze, unerreicht bis heute. Ich durfte mitfahren damals auf dem Boden­see vor ein­und­zwanzig Jahren. Wollen wir es in der kommenden Woche erneut probieren?“

Bei solch einem spontanen Lob geschieht Erstaun­liches: Bist du zuvor in einem in­ne­ren Zwie­spalt, missmutig und schwach, so wirst du jetzt zuversicht­lich und tatkräftig. Du lobst dein Gegen­­über – und hast selber auf geheimnisvolle Weise Anteil an der Kraft des Lobes, das du aussprichst. Bist du zuvor noch bedrückt und kraftlos umher geschli­chen, fühlst du dich nun getragen von einer kräftigen, unternehmungslustigen Stimmung, beflügelt zu neuen Taten.

Und was geschieht, wenn wir Gott loben? Kann es wirklich sein, dass das einen Sturm der Begeisterung auslöst? Jedenfalls breitet sich die Herrschaft der po­si­ti­ven Gefühle langsam, aber sicher aus. Wenn es gut geht, fühlen wir eine Leichtigkeit des Daseins und eine neue Schaffens­­kraft und Schaffenslust. Und wenn es ganz gut geht? Dann fühlst du dich wie von Adler­flü­geln getragen. Indem du Gott lobst, gerätst du in eine gehobene, ja mitunter sogar herr­liche Stimmung. „Wir schreiten voran von einer Kraft zur anderen …“ (Psalm 84, Vers 8).

Dank­bar und gläubig tun wir das. Und das Ganze spielt sich oft in einem fami­liä­ren Rahmen ab. Das ist kein Zufall: Liebe zwischen Eltern und Kindern, Dank­bar­keit und Glaube sind drei mächtige Säulen. Und drei Grundkräfte des Lebens. Sie bringen uns Schritt für Schritt weiter. Sie führen uns von Stufe zu Stufe voran. So dass es richtig Freude macht zu leben.

Gott selber hat einen tiefen Sinn für die familiären Dinge. In Gott steckt etwas tief Familiäres drinnen. Da ist der himmlische Vater, der auch mütterliche Züge hat: „Mit Mutterhänden leitet er die Seinen stetig hin und her“ (Lied 240, Vers 5). Ganz nahe beim Vater ist ja der Sohn. Und der Heil­ige Geist. Und zwischen den dreien gibt es unendlich viel Dank­bar­keit und Liebe, unermesslich viel Begei­ste­rung und Lob. Und ähnlich wie wir uns hingezogen fühlen zu unseren Müttern und Vätern, fühlen wir uns hoffentlich auch hingezogen zu unserem wunder­bar familiären Gott – zum Vater und zum Sohn und zum Heiligen Geist … Amen.

„Unseres Herzens Be­geh­ren richtet sich nach deinem Namen und nach deinem Lobpreis. Von Herzen verlangt mich nach dir des Nachts, ja mit meinem Geist suche ich dich am Morgen. … Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht. Denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils. Preiset den HERRN, denn herrliche Taten hat er vollbracht, auf der ganzen Erde soll man es wissen.“

Jesaja 12,2-5 und 26,8-9

Andacht zum Sonntag 3. Mai

File Size 121.57 KB
Downloads 1

Liebe Gemeinde Liebe Gäste aus nah und fern

Freude liegt in der Luft! Da ist sie also, die aufblühende Natur – und wir mitten¬drin. Stark spüren wir es in diesen ersten Maitagen: Mit allem, was da lebt, was da wimmelt und webt, was da schafft und wirkt, gehören wir un¬trenn¬bar zusam¬men. Seit alters sind das die Tage der erwachenden Umgebung, der tätigen Arbeits¬welt, der aufbrausenden Frühlingskräfte. Wie dankbar sind wir für die la¬chen¬de Sonne! Aber noch mehr danken wir für den Regen, der Felder, Fluren und Gärten tränkt.

Aus diesen urwüchsigen Schöpferkräften speist sich die menschliche Tatkraft. Das wird in den grossen heiligen Büchern ausführlich beschrieben. Die bi¬bli¬schen Schriften liefern zahl-reiche Beispiele aus der Welt der Jah¬¬reszeiten, der Pflanzen und der Tiere, der land¬wirt-schaft¬lichen Hege und Pflege in werktätiger Umgebung.

Eine besondere Aufgabe kommt dabei der Weidewirtschaft zugute, also allem, was mit einer artgerechten Tierhaltung in natürlicher Umgebung zu tun hat. Die Stamm¬väter Abraham, Isaak und Jakob waren Hirten mit einer auch für damalige Zeiten schon immens grossen Schar von Schafen, Ziegen und Rindern.

Der Hirtenberuf wird von König David geradezu verklärt und mit Gott in Verbindung gebracht: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ (Psalm 23) Von diesem Psalm sind viele volkstümliche Gesänge abgeleitet. Ist uns aus hellen Kindertagen nicht vielleicht folgendes anrührende Lied in Erinnerung? Es stammt aus der Barockzeit, in der die geistliche Hirtendichtung eine grosse Rolle spielte:

1   Weil ich Jesu Schäflein bin freu ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich schön weiss zu bewirten, der mich liebet, der mich kennt, und bei meinem Namen nennt.6   Drückt mich meine kleine Last und ich brauche Ruh und Rast, darf sein Schäflein ohn‘ Bedenken in des Hirten Schoss sich senken, kriegt an seiner milden Brust wieder neue Arbeitslust.
2   Unter seinem sanften Stab geh ich aus und ein und hab‘ unaussprechlich süsse Weide, dass ich keinen Hunger leide; und sooft ich durstig bin, führt er mich zum Brunnquell hin.7  Sollt ich nun nicht fröhlich sein, ich beglücktes Schäfelein? Denn nach diesen schönen Tagen werd‘ ich endlich heimgetragen in des guten Hirten Schoss. Amen, ja, mein Glück ist gross.

Freilich, es gibt Einwände gegen das Bild vom guten Hirten: Drückt es nicht Abhängigkeit aus? Wir sind doch Selbständigkeit gewohnt! Ich dagegen finde: Dieser Eine ist es wert, dass wir ihm unsere Wertschätzung entgegen bringen. Und ja – dass wir uns ihm unterordnen. Denn er ist ja unbestritten der Ranghöhere. Ist er nicht sogar der Ranghöchste unter allen Menschen überhaupt? Eben weil er Gott am nächsten steht! Ich finde: Wir tun gut daran, dass wir seine Weisungen beherzigen. Es dient zu unserem Besten, was er uns empfiehlt.

Und noch etwas: Ist es nicht eine besondere Aufwertung für dich und mich, dass wir ihm – dem Grössten unter allen Menschen – gehö¬ren? Damit bekommen wir ja Anteil an seiner Grösse! Bekommen Selbstbewusstsein und Würde! Wie aussergewöhnlich ist doch dieses Geschenk, wie herausragend ist diese Auszeichnung! Ich finde: Die Verbindung mit ihm – das ist die Krönung. Das ist der Quantensprung. Das ist das Glück des Lebens.

Bei Johannes im 10. Kapitel gibt es einen Satz, der dieses unwahrscheinliche Glück treffend zum Ausdruck bringt. Da sagt Jesus: „ Ich bin der gute Hirt: Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich – wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne.“ (10, 14+15).

Das heisst doch: Jesus kennt seine Leute so gut, wie er seinen Vater kennt. Er ist mit seinen Leuten so vertraut, wie er mit dem Allerhöchsten vertraut ist. Mit anderen Worten: Er hat keine Geheim¬nisse vor ihnen. Mit ihnen teilt er alles, was er hat. Ja, er teilt mit ihnen sogar das Allerkostbarste, was er hat – seinen wunderbaren, ewigen, herrlichen Vater!

Der Sohn Gottes reser¬viert seinen Vater nicht für sich allein. Er öffnet seine Bezie¬hung, die er mit seinem Vater pflegt. Und zwar für wen? Für seine Leute. Also auch für dich und mich, die wir an ihn glauben. Du und ich, wir kommen mit hinein in seine göttliche Familie.

Damit kommt ein kameradschaftlicher, ja familiärer Zug in das Bild von Hirt und Herde hin-ein: Der gute Hirte ist unser Freund und Weggefährte. Und wir? Wir sind nicht nur seine Schaafe. Sondern auch seine Freundinnen und Freunde. Ja sogar seine Schwe¬stern und Brü-der! In seinem Umfeld, auf seinem Weideland bewegen wir uns frisch, fromm, fröhlich, frei.

Das heisst nicht, dass nun jeder herumtollen kann, wie es ihm beliebt. In der Herde dieses Hirten herrschen Ordnung und Klarheit. Keinesfalls wird jeder über denselben Kamm gescho¬ren. Da wird jeder so begleitet, angeleitet oder betreut, wie es nötig ist. Und zwar gerade nicht im Sinne einer bequemen Hängematte. Vielmehr wird jeder nach seinen Fähig-keiten und Mög¬lich¬kei¬ten gestärkt, gefördert und gefor¬dert. Und sicherlich auch getestet, geprüft und geläu¬tert. Dieses Verfahren klingt schon beim Propheten Hesekiel an (Kapitel 34,16+31):

„Die verlorenen gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die ver-letzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist. Ihr seid die Schafe meiner Weide, spricht der HERR.“

Für den Monat Mai wünsche ich uns vertiefte Erfahrungen mit dem guten Hirten! Amen.

Andacht zum Sonntag 26. April

Liebe Gemeinde! Liebe Gasthörer und Mitleser aus nah und fern!

Wer gibt uns Hoffnung in der Krise?  Sind es die Ärzte? Die Wissenschaftler? Sind es dieje­ni­gen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen? Wir nehmen an, dass das schon seinen Sinn hat, was sie sagen, emp­feh­len und anordnen. Dennoch nimmt die Unsicherheit zu. Daran kann kein Mensch etwas ändern, und sei er noch so klug und weise. Da braucht es schon noch eine andere Adresse. Und eine höhere Macht. Und die gibt es. Und es ist möglich, dass wir in Kontakt treten mit dieser höchsten Stelle. „Die auf den Herrn harren, die kriegen neue Kraft“, steht beim Propheten Jesaja geschrie­ben. Hier wird das Signal gegeben: Wende dich an die richtige Adresse! Wer auf den Schöpfer setzt, gewinnt Kraft und Klarheit.

In der Mundart gibt es das Zeitwort „plangen“. Unsere Kinder tun das: Sie „planget mängi Stund, bis de Samichlaus-Tag chunt“. Auch wir hoffen sehnlichst. Können es kaum erwarten. „Mir planget“ … Worauf? Dass die Enkel wieder ihre Grosseltern besuchen dürfen. Und um­gekehrt. Dass unsere Senioren wieder ins normale gemeinschaftliche Leben zurück­kehren können. Dass die Stätten geselligen Zusammenseins wieder ihre Pforten öffnen. Dass Handel und Wandel wieder in Gang kommen. Dass die Schule wieder läuft. Und dass es bald regnet.

Ohne eine solche Hoffnung geht es nicht. Das gilt für alle Lebenslagen. Und das gilt sogar für unser ewiges Schicksal. Man muss dieses Vertrauen ein­fach einmal wagen. Hört also auf, Trübsal zu blasen! Hockt nicht ängstlich und zu­sam­men­ge­drückt in eine Ecke, sondern blickt fröhlich und getrost nach vorn. Harren wir aus! Die Stun­de der Erlösung kommt. Denn wir wissen, auf wen wir hoffen, worauf wir „plangen“:  Das sind die höchsten und stärk­sten Person, die es gibt im Himmel und auf Erden. Das sind die mächtigsten Kräfte des gesam­ten Universums. Das ist unser Vater im Himmel. Und das ist sein Sohn Jesus, der von den Toten auferstanden ist. Und das ist der Heilige Geist, die unbändige Urkraft allen Lebens.

Mit solchen Kräften und Mächten im Rücken – da kann man ja gar nicht anders, als positiv zu denken. Blicken wir also über den Tellerrand! Schauen wir über den gewöhnlichen Horizont hin­aus. Das hängt mit dem Osterfest zusammen. Da wird der Hebel umgelegt: Vorwärts immer – rückwärts nimmer. Der Osterglaube öffnet viele Türen. Da werden ungeahnte Kräfte frei, die sich mitten unter uns ausbreiten, erfolgreich und nachhaltig.

Dieser Glaube hat etwas Starkes und Schönes an sich. Dieser Glaube ist vergleichbar mit dem Flug des Adlers. Sagt ebenfalls Jesaja. Was für ein königliches Tier ist das! Vor allem, wenn dieser Vogel hoch oben in den Lüften seine Kreise zieht, ruhig und kraftvoll, mit einem über­legenen­, hellen, klaren Überblick über das, was sich unten auf der Erde abspielt. In ähnlicher Weise be­wegt sich unser Glaube – ruhig und gelassen, mutig und kühn. Jedenfalls hoffe ich, dass wir einen solchen Glauben haben wollen – und ihn früher oder später auch wirklich finden. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg. Des Menschen Wille ist sein Königreich.

Dieser dein Glaube gewinnt dann eine gute Übersicht und hat einen weiten Hori­zont. Du blickst zurück auf die Höhen und Tiefen deines Lebens – und lernst für die Zukunft. Dieser dein Glaube be­flü­­­gelt dich. Du bekommst neue Ideen in Richtung auf einsame Menschen. Mit ihnen trittst du in Ver­bin­dung. Über das Tele­fon. Über das Internet. Durch Briefe. Die gute alte Schnecken­post ist gar nicht so langsam. Schon am nächsten Tag erreicht sie ihr Ziel. Beson­ders für unsere Senio­rin­nen und Senio­ren in den Heimen ist es eine helle Freude, wenn sie eine Spruch­karte in Händen halten, mit Bild und persönlicher Widmung. Was also wünsche ich uns? Dass wir uns erheben über die Niederungen der Sorgen. Einen klaren Kopf bekommen. Und möglichst vielen Mitbürgern Anteil geben an dieser Zuver­sicht, Amen.

25) Mit wem wollt ihr mich vergleichen, dass ich ihm gleich wäre?, spricht der Heilige.

26) Blickt nach oben und seht: Wer hat diese geschaffen? Er, der ihr Heer abgezählt hervor­tre­ten lässt – sie alle ruft er mit Namen herbei. Wegen der Überfülle seiner Kraft, also weil er vor Kraft nur so strotzt, geht kein Einziger verloren.

27) Warum, Jakob, sagst du, und du, Israel, sprichst: Mein Weg ist dem HERRN ver­bor­gen, und mein Recht entgeht meinem Gott?

28) Hast du es nicht erkannt? Hast du es nicht gehört: Ein ewiger Gott ist der HERR, der die Enden der Erde geschaffen hat! Er ermattet nicht. Er wird nicht müde. Seine Einsicht ist unerforschlich.

29) Dem Ermatteten gibt er Kraft. Wo keine Kraft ist, gibt er grosse Stärke.

30) Junge Männer ermatten zwar und werden müde, und Männer straucheln unvermeidlich.

31) Die aber, die auf den HERRN harren, empfan­gen neue Kraft, wie Adlern wachsen ihnen Schwingen: Sie laufen und werden nicht müde, sie schreiten voran und ermatten nicht.

[Jesaja Kapitel 40 (frei nach der Zürcher Übersetzung)]

Andacht zum Sonntag 19. April

Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot. Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt, … kommt her und esst! …. Und Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, dazu auch den Fisch.     [ Johannes 21,9-13]

Des Nachts sind etliche Männer auf See beim Fischen, aber erfolglos. Schlim­mer als der Misserfolg wiegt die Trauer, die sie gepackt hat wegen des Schicksals ihres Meisters: Er wurde hingerichtet. Das Leben ist grau in grau, kalt wie der Nebel im Wind.

Es naht der Morgen. Was sehen sie? Einen Silberstreif am Horizont? Zu­nächst nur seine Umrisse am Ufer. Danach sehen sie ihn immer heller und klarer: Den sie vermissten, der ist wieder da! Die miss­mu­tige Stimmung wandelt sich schlagartig. Nah am Ufer machen sie doch noch einen ordentlichen Fischfang. Der Meister ist ebenfalls nicht untätig geblieben. Ein Kohlen­feuer hat er entfacht. Fische brutzeln. Die Männergesellschaft trifft sich zu einer herz­haften Morgen­mahl­zeit. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.

Der Gastgeber ist geheimnisvoll – und ist doch kein anderer als Jesus von Na­za­reth. Der war tot – und wird trotzdem wiedergesehen, quick­leben­dig. Ja, dieser Mensch kann sich wieder rich­tig am Leben freuen. Kann wieder laufen und wandern, denken und sprechen, sehen und hören, riechen und schmecken, seinen Willen äussern, über seine Gefühle sprechen, am vol­len und ganzen Leben teilnehmen. Und vor allem: Er kann aufs neue essen und trinken. Er tut das mit Lust und Liebe zusammen mit seinen Freunden in fröhlicher Morgenstunde.

Dieser Auferstandene ist kein Geist. Er ist keine übersinnliche Erscheinung und auch kein Engel. Sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Der auf­erstandene Jesus fügt sich in die Gesetze der Biologie ein, obwohl er über diesen Naturgesetz­en steht: Er atmet, isst und trinkt, nimmt teil am Stoffwechsel und am Kreislauf der Natur. Er hat schon immer dazu­gehört und dabei bleibt es. Seinen Bezug zu dieser Welt hat er nie verloren, auch nicht durch den Tod. Unsere Welt wird nicht entwertet oder aufgelöst, im Gegenteil: Sie wird gefördert. Ihre Existenz ist nun garantiert. Durch seine Auferstehung wird die Natur geadelt und gesegnet, und unser aller Dasein wird gereinigt und bekräftigt.

An Ostern wird mit allen Sinnen gefeiert. Es herrscht eine wunder­bar gehobene Stim­mung. Eine tiefe innere Freude verbreitet sich im all­täglichen Betrieb, mitten in Haus, Hof und Gar­ten. Das Osterfest taucht unser Hier und Heute in ein frisches, warmes Licht, in dem wir uns bewegen wie eine Libelle, die im Sonnenlicht tanzt. Hier und heute bekommen wir einen Schub, der uns Stück um Stück voran­bringt, so dass wir uns von Stufe zu Stufe entwickeln. Durch Jesu Auferstehung bekommt Gottes Schöpfung einen neuen Schwung.

1   Die ganze Welt, Herr Jesu Christ,     in deiner Urkraft fröhlich ist. Halleluja! 4   Es singen jetzt die Vögel all,     jetzt singt und klingt die Nachtigall.
2   Das himmlisch Heer im Himmel singt,     die Christenheit auf Erden klingt. 5   Der Sonnenschein jetzt kommt herein     und gibt der Welt ein neuen Schein
3   Jetzt grünet, was nur grünen kann,     die Bäum zu blühen fangen an. 6   Die ganze Welt, Herr Jesu Christ,     in deiner Urkraft fröhlich ist. Halleluja!
             Lied 471 im Gesangbuch     Statt „Urkraft“ steht im Liedtext „Urständ“

Liebe Gemeinde,

das sind ja wirklich schöne Aussichten! Was ist das für eine anrührende Geschichte, die uns im Fischer-Städtli Diessenhofen sicherlich zusagt. Dennoch haben wir derzeit andere Sor­gen. In dieser Krise fällt vielen die Decke auf den Kopf. Geht es uns ähnlich wie jenen Männern im Schiff, in einsamer Fahrt unterwegs auf dem Strom des Lebens? Aber halt! Da ist einer, der am Ufer wartet. Der so ziemlich alle Höhen und Tiefen des Daseins mitgemacht hat. Auch jetzt, nach seinem grossen Durch­bruch in ein neues Dasein, schwebt er nicht über den Din­gen. Sondern mischt kräftig mit. Er ist sich nicht zu schade, einzutauchen in die Nie­de­run­gen des All­tags. Um unsere Langeweile und miss­mutige Stimmung weiss er. Keine see­li­sche Re­gung ist ihm unbekannt, so schwierig sie auch ist. In der Höhe und Tiefe, Weite und Breite unseres Le­bens ist er mit dabei, kennt jeden Punkt und jede Biegung des Weges.

Und er verstärkt unsere Bemühungen. Er begleitet uns beim Einkaufen, beim kleinen über­schau­baren Familienausflug, aber auch, wenn wir ganz allein sind. Ich glaube sagen zu kön­nen: Der auferstandene Jesus arbei­tet mit uns darauf hin, dass die Einsamkeit bald einmal durchbro­chen wird. Dass das normale Leben wiedereinsetzt. Weil er selber ein Liebhaber des normalen Lebens ist. Das hat er von seinem himmlischen Vater gelernt, der seine Menschenkinder und überhaupt seine ganze Schöpfung Schritt für Schritt begleitet.

Und vor allem: Beim Essen und Trinken ist der Auferstandene unsichtbar mit dabei. Das ist kein Zufall. Jesus hat schon immer ein besonderes Ver­hält­nis zu Gast­mäh­lern und norma­len Mahl­zeiten gehabt, besonders zu jenen feier­li­chen Zusammenkünften, aus denen sich dann das heilige Abendmahl entwickelt hat. In gros­ser festlicher Runde wie im kleinen vertrau­ten Kreis fühlt er sich gleichermassen wohl. Durch seine Anwesenheit sorgt er für eine ehren­volle Aufwertung und Würdi­gung unserer Gemeinschaft.

Ich wage jetzt einmal folgende Aussage mit aktuellem Bezug: Jesus kämpft mit uns an der Corona-Front – damit bald wieder Geselligkeit und festliche Freude Einzug halten. Damit dann wieder grössere Mahl­zeiten in Restaurants oder Festzelten möglich werden. Denn der Auferstandene ist ein Liebhaber des Lebens in seiner ganzen Bandbreite. Wie sehr freut er sich mit uns, wenn wir dann wieder in fröhlicher Runde zusammensitzen bei einem guten Glas Wein, einem gebratenen Fisch, einem spannenden Gespräch!

Das ist das Leben – so soll es sein, so muss es sein, jetzt und in der Zukunft. Die erzwun­gene Isolierung ist nur eine Pause, gewissermassen eine staatlich ver­ord­nete Fastenzeit. Und die ist nur be­grenz­t gültig. Danach hat die Sperre ein Ende. Und das Schöne daran ist: Jesus ar­beitet an der Aufhebung dieser Sperre mit. Sein Anliegen ist die Heilung der Welt. Deshalb macht er sogar die Grenze zwischen Himmel und Erde durchlässig. Wo immer er ist, da begegnen sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns …

Herr Jesus Christus! Du hast einen grossen Schritt nach vorn gemacht. Womit? Durch deine Aufer­stehu­ng. Das ist ein gewaltiger Schub für die ganze Welt. Wie gern würden wir noch mehr davon spüren! Führe uns aus der Einsamkeit in die Gemeinschaft, aus der Dunkelheit ins Licht, aus der Unordnung in die Klarheit. Jesus, du bist einer von uns. Und doch kannst und weisst du weitaus mehr als wir. Das ist ja gerade der Grund, warum wir dir vertrauen! Dein Vorsprung an Erfahrung nützt uns in allen Lebenslagen.

Dank sei dir und deinem Vater dafür, Amen.

File Size 137.68 KB
Downloads 1

Andacht zu Ostern

Diessenhofer Osterpredigt 2020

Petrus aber stand auf, eilte zum Grab und ging in das Grab hinein. Er sieht die Leinenbinden daliegen und das Schweisstuch, das auf Jesu Haupt gelegen hatte; es lag nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengerollt an einem Ort für sich. Und er ging nach Hause, voller Verwunderung über das, was geschehen war. 

Lukas 24,12 ǀ Johannes 20,6.7

Was für seltsame Tage sind das! Seit Kriegszeiten hat es ein solches Osterdatum nicht mehr gegeben. Was für ein eintöniges Einerlei ist das doch, worin wir gefangen sind …  Bietet das Fest wenig­stens etwas Ab­wechslung? Oder ist die Osterfreude ein Wundermittel, das wir ein­nehmen – und gleich geht es besser?

Vorsicht. Mit Wundern ist das so eine Sache. Lieber stehen wir auf der sicheren Seite. Verlassen uns auf etwas Handfestes. Also auf das, was man an­pa­cken und berech­nen kann. Selber rechnen wir uns wohl allermeist zu den Tatsa­chen­­menschen und haben ein sachli­ches Ver­hältnis zu den Dingen. Dagegen die Oster­berichte im neuen Testa­ment – sind sie nicht seltsam unwirklich? Fast zu schön, um wahr zu sein?

Und doch! Gibt es in diesen Berichten nicht ein gewisses Etwas, das aufhorchen lässt? Männer und Frauen pilgern an den Ort, da Jesus begraben wurde. Einer der ­Besucher will genau wissen, was los ist. Es ist Petrus. Auch er ist ein Tatsachen­mensch. Deshalb steigt er in das Felsen­grab hinein. Inspiziert den Innenraum. Und was sieht er? Nichts! Aber halt – war da nicht doch etwas? Genau! Die Lein­tücher, mit denen der Tote eingewickelt war: Hier auf dieser Seite liegen sie. Und auf der anderen Seite? Da ist das Schweisstuch, mit dem das Haupt des Toten verhüllt war. Alles ordent­lich zusam­men­gelegt. Alles fein und präzise zu­sam­mengerollt. Jedes Ding an seinem Platz. Wie es sein muss. Was für ein sauberes, klares Bild inmitten der ansonsten düsteren Grabeshöhle!

Petrus macht sich so seine Gedanken. Schon merkwürdig: Der Verstorbene ist ver­schwun­den. Aber irgend jemand hat offenbar in aller Seelenruhe und äusserst akkurat „das Bett gemacht“. Wer mag das gewesen sein? Ein Grabräuber? Kaum. Der hätte wohl nur ein wirres Gewühle hinterlassen. Und dann denkt Petrus das bisher Undenkbare: Ob schlussendlich der Verstor­bene selbst der Aufräumer im eigenen Grab gewesen ist? Ob Jesus, als er aus dem Tod erwachte und neue Leibeskräfte in sich spürte, selber diese Tex­ti­lien zusammen­faltete und ablegte, bevor er seine Ruhestätte verliess – im Aufbruch zu neuen Taten?

Je länger Petrus auf dem Heimweg nachdenkt, desto wahrscheinlicher erscheint ihm diese Erklä­rung. Denn dass Jesus im eigenen Grab für Ordnung sorgte – das passt zu seiner zu­pa­cken­­den Art. Schon während seiner beruflichen Karriere als Zimmer­mann und Bau­meister wurde das überdeut­lich. Auch später in seinen Wanderjahren kümmerte sich Jesus engagiert um die Details: Angefangen von der Sorge um das leibliche Wohl seiner Zuhörer, deren Zahl oft in die Tausende ging, über die generalstabsmässige Planung seines Einzugs in Jeru­salem an Palm­sonntag – bis hin zur Fürsorge für seine Mutter. Ihre Betreuung hat er mit letztem Einsatz organisiert. Und zwar im Zusammenhang mit seinem tragischen Ende am Kreuz.

Und wie schaut es nach seiner Auferstehung aus? Wenn nicht alles täuscht, geht es danach in derselben Weise weiter. Jesus hat alles auf dem Radar, denkt an alles, ange­fan­gen vom ordentlichen Verlassen seines Grabes bis hin zu den Fischen, die er brät am Ufer des Sees Genezareth. Hier lädt er seine Jünger zum Frühstück ein (Johannes 21,9-14). Kein Ding ist ihm unwesentlich. Was er anpackt, macht Sinn. Alles ist zweckmässig aufbereitet.

Was bedeutet das für uns an Ostern 2020? Dieses Fest hat eine wunderbare und ebenso praktische Seite. An Ostern wird das Tor zu unserer paradiesischen Zukunft aufgeschlossen. Ostern liefert aber auch den Schlüssel für unser Hier und Heute.

Denn hier und heute brauchen wir einen, „der mit uns geht, der´s Leben kennt, der mich versteht, der auch im Schweren zu mir steht, der in den dunklen Stunden mir verbunden, der mich zu allen Zeiten kann geleiten ….“ Und weiter heisst es in diesem Lied: „Sie nennen ihn den Herren Christ, der durch den Tod gegangen ist. Er will durch Leid und Freuden mich geleiten – ich möcht, dass er auch mit mir geht.“

Dieser Herr Christus weiss sehr wohl, dass wir – im Unterschied zu ihm – zunächst noch hier auf dieser Erde festsitzen. Dass wir hier und heute unse­ren Mann und unsere Frau stehen müssen. Deshalb ruft er uns zu: Seht her, ich habe den schlimmsten Feind besiegt, den es gibt – den Tod. Wenn ich das geschafft habe, werde ich doch auch mit euren Pro­ble­men fertig, die sich hier und heute auftürmen? Ich, der Auferstan­dene, bin mir ja nicht zu schade, mich selbst um Leintücher und Textilien zu kümmern. Umso mehr begleite ich euch in euren täglichen Abläufen: Wenn ihr aufsteht. Wenn ihr euch zum Frühstück hinsetzt. Wenn ihr an die Arbeit geht. Wenn ihr damit immer wieder viel zu früh fertig seid, weil es derzeit eben nicht viel Arbeit gibt. Ich bin bei euch, wenn ihr euch langweilt und euch die Decke auf den Kopf fällt. Ich bin bei euch, wenn ihr aufbrecht zu einsamen Spaziergängen. Und wenn ihr euch abends schlafen legt. Und vielleicht nicht einschlafen könnt …

Nichts ist zu gross – ich umfasse es, sagt der Auferstandene. Nichts ist zu klein – ich küm­mere mich darum. Wie ich das Leben in seiner ganzen Bandbreite durchschrit­ten habe, so bin ich bei euch in der Länge und Breite eurer Tage. Ja, ich kümmere mich um eure Einzel­heiten. Ja, ich mache euch Mut zum Frühjahrs­putz. Ja, ich helfe euch beim Auf­räumen und Ausmisten eurer Häuser, Kammern, Stuben, Estriche, Keller und Gärten.

Und vor allem: Ich schaffe Ordnung in euren Köpfen und Herzen. Ich gehe mit euch in die dunklen Ecken und Verstecke eures Lebens­hauses, wo noch viel Schmutz und Unrat herum­liegt. Ich helfe euch beim moralischen Saubermachen. Ich zeige euch die höhere Ordnung, die in der oberen Welt meines Vaters herrscht. Orientiert euch an diesem Vorbild! Dann bekommt ihr den Kopf frei. Ihr wollt doch Christen sein? Ihr heisst nach meinem Namen? Also führt ein geordnetes, zielgerich­tetes Leben, das meiner Auferstehung würdig ist.    Christ sein heisst klar sein!

Auf diese oder ähnliche Weise könnte Jesus Christus zu unseren Herzen und Gewissen sprechen an diesen Ostertagen. Und wir könnten vielleicht folgende Antwort finden im Gebet …

Herr Jesus Christus! Deine Auferstehung ist voller Geheimnisse und Wunder – und setzt ungeahnte Kräfte frei im Hier und Heute. Deine Auferstehungskräfte kommen uns besonders in diesen stillen Tagen und Wochen zugute. In dieser Stille hören, spüren und sehen wir mehr als sonst. Das schafft ungeahnte Freiräume. Wir bitten dich: Deine Auferstehung gebe uns den Mut, dass wir klar Schiff machen. Und unser Leben auf die Reihe kriegen. Du gehst mit gutem Beispiel voran. Dir folgen wir in einer möglichst hellen, klaren Gesinnung. Und in einer möglichst festen Haltung des Glaubens. Dann erreichen wir auch die höheren Ziele, zu denen du uns berufen hast. Danke für deine treue und sensible Wegbegleitung jeden Tag. Amen.

Icon

Andacht zu Ostern 83.71 KB 6 downloads

...

Andacht zum Palmsonntag 2020

Täusche ich mich? Sehe ich recht oder nicht? Blicke ich nach draussen auf die Strassen im Städtli, kommt es mir vor, als sei jeder für sich selbst unterwegs. Ist es nicht so: Jeder erprobt seine eigene, auf sich selbst zugeschnittene Rolle? Ja, jeder sucht sich seine Route durch das Labyrinth des Daseins. Jeder bahnt sich seine ganz persönliche Strasse durch diese schwierigen Wochen. Und warum ist das so? Wir nehmen eine Auszeit vom normalen und geschäftigen Leben. Wir tun das nicht gerade gern. Sondern aus Einsicht in eine höhere Notwendigkeit. Also ob wir wollen oder nicht: Jeder ist mehr oder weniger auf sich gestellt, oder allenfalls auf seinen kleinsten Familienkreis beschränkt. Und jeder einzelne hofft, dass er schlussendlich an ein gutes Ziel kommt. Wenn es dann soweit ist, freuen wir uns umso lebendiger, umso kraftvoller – und vor allem: Wir tun das dann zusammen!

Noch ist nicht soweit. Noch sind wir zwar nicht eingesperrt in die eigenen vier Wände, aber doch gebunden und gefesselt an unsere einsamen Wege. Noch müssen wir diesen Druck und diese Spannung ertragen. Die meisten von uns verhalten sich so besonnen, so gut es irgend geht. Freilich, manch einem fällt fast schon die Decke auf den Kopf. Besonders unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger haben es unendlich schwer. Für sie bedeuten diese Tage und Wochen eine grosse, kraftraubende Anstrengung.

Uns allen wünsche ich, dass wir diese Herausforderung bestehen. Uns allen wünsche ich, dass wir die soziale Trennung durchhalten, so gut es geht und solange es nötig ist. Uns allen wünsche ich, dass wir die einsamen Wege – wenn wir sie schon gehen müssen – dann auch innerlich bejahen. Genau wie Jesus von Nazareth es getan hat. Oft war er mehr oder weniger allein, musste er sich selbst seinen Weg bahnen, abgetrennt vom Strom des pulsierenden Lebens. Dann zog er sich zurück auf einsame Berge. Oder in die Steppen und Wüsten. Da war er dann allein mit seinem Gott und Vater, den er auch in der grössten Stille nie aus den Augen verlor.

Dann wieder hat Jesus das Bad in der Menge gesucht. Das war auf dem Höhepunkt seines Wirkens. Da hat er sich aufgemacht und ist in die Hauptstadt geritten auf einem Esel. Dabei hat er eine uralte Prophezeiung erfüllt. Eine unübersehbar grosse Schar, jede Menge Kinder und Erwachsene, hat ihn willkommen geheissen mit Jubelrufen, mit blühenden Blumen, mit Palmzweigen, mit ausgestreutem Grünzeug auf dem Weg. Sogar die Kleider haben sich die Leute vom Leibe gerissen und damit die Strasse gepflastert, auf der der Meister in die Hauptstadt eingezogen ist. Sie haben ihm damit gleichsam den roten Teppich ausgerollt. Was für ein Jubel, was für ein Lobgesang, was für eine hohe, helle Freude hat sich Bahn gebrochen mit überwältigender Macht! (vergleiche Evangelium nach Lukas Kapitel 19,28-38)

So ist es geschehen am historischen Palmsonntag vor bald 2000 Jahren in Jerusalem. Das ist der Tag, den wir jedes Jahr im Frühling feiern. Wir tun es an diesem Wochenende. Und dieses Jahr tun wir es in der Stille. Zugleich wünschen wir uns nichts sehnlicher, als dass diese Stille bald einmal durchbrochen wird von einem lebendigen, quirligen Miteinander. Wie schön wäre es, wenn wir nach unserer mühevollen Pilgerreise durch die Einsamkeit wieder einen gemeinsamen Weg finden! Einen fröhlichen Ausflug ins Grüne machen. Mitfiebern bei einer Sportveranstaltung. Ein Konzert besuchen. In einem gemütlichen Restaurant Platz nehmen. Einen runden Geburtstag feiern im grossen Kreis. Einen festlichen Gottes¬dienst mit der ganzen Familie erleben inmitten einer feiernden Menge … Wenn das an diesem Wochen¬ende geschehen könnte – was wäre das für ein Palmsonntag, an Glanz und Pracht kaum zu überbieten! Ein solches Datum würden wir unser Lebtag nicht vergessen.

Noch ist es allerdings nicht so weit. Selbst für die Ostertage ist mit einer Entspannung nicht zu rechnen. Deshalb bitte ich inständig: Verlieren wir die Hoffnung nicht! Halten wir die Augen offen! Jesus hat seine Augen ebenfalls offen gehalten. Als er auf einsamen Bergen, in glühender Wüste, in düsterer Steppe allein war mit sich selbst und mit seinem Gott – was hat er da getan? Da hat er Ausschau gehalten nach einem Ausgang aus der persönlichen Not, die ihn mit voller Wucht getroffen hatte. Und mitten in der tiefsten Stille tat sich für ihn ein kleines Fenster auf.

Mir fällt dazu ein Lied von Paul Gerhardt ein. Es steht unter der Nr. 683 im Gesangbuch:

Gib dich zufrieden und sei stille

in dem Gott deines Lebens.

In ihm ruht aller Freuden Fülle,

ohne ihn mühst du dich vergebens.

Er ist dein Quell und deine Sonne,

strahlt täglich hell zu deiner Wonne.

Gib dich zufrieden.

Wenn gar kein Einziger mehr ist auf Erden,

dessen Treue du darfst trauen,

alsdann will er dein Treuester werden

und zu deinem Besten schauen.

Er weiss dein Leid und heimlich Grämen,

auch weiss er Zeit, dir´s abzunehmen.

Gib dich zufrieden.

Mein Vorschlag: Dass wir an diesem stillen Palmsonntag ein kleines Fenster aufmachen. Auch die kleinste Hoffnung erfüllt uns mit innerlichen Lebenskräften. Nehmen wir uns ein Beispiel an Jesus: Seine zunächst nur kleine Hoffnung ist zunehmend gewachsen. Sie hat sich enorm gesteigert. Die uralte Verheissung des Propheten hat sich buchstäblich erfüllt. Nach wie vielen Mühen und Plagen durfte Jesus schliesslich doch seinen grossen Tag erleben – und in der Hauptstadt triumphierend Einzug halten als König der Herzen!

Diese ganz grosse Freude – noch vermissen wir sie. Noch ist sie nicht da. Aber vielleicht erhaschen wir einen kleinen Funken von dem grossen Feuer der Hoffnung, das Jesus an diesem Palmsonntag entzündet? Das wünsche ich uns! Und damit unser Hoffnungsfunke so richtig zu glühen anfängt, könnten wir folgendes tun: Auf einem Bogen Papier Palmzweige malen. Und farbige Blumen. Und bunte Tep¬piche. Zu Ehren unseres Heilandes fertigen wir diese Zeichnung an. Und darunter schreiben wir:

„Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn.
Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Lukas 19,38

Lieber Herr Jesus Christus! Noch drückt uns stiller Tage schwere Last. Noch fühlen wir uns beengt, ja gestresst durch die erzwungene Einsamkeit, in die wir gestellt sind durch höhere Gewalt. Noch muss jeder von uns seinen eigenen einsamen Weg mühsam erkämpfen. Dennoch öffnen wir jetzt das Fenster zur Zukunft. Und riechen schon den Duft des Frühlings! Wir fühlen die Kraftströme des neuen Lebens, die du mitten in der Stille bereitstellst an diesem Palmsonntag. Segne uns mit der Kraft deiner Hoffnung, mit der Liebe deines himmlischen Vaters, mit der Zuversicht deiner heilsamen Gedanken, jetzt und allezeit und in Ewigkeit, Amen.

Gottesdienst am 20.01.2019 über die Taufe des Kämmerers

1                Ein besonderes Element

Eiseskälte und Schlittschuhfahren erlebte ich gestern mit meiner Tochter Emma auf der Eisbahn in Schaffhausen. Und jetzt vorhin hörten und sahen wir von Christoph Zinsstag den Bildbericht über Äthiopien.

Übrigens, heute vormittag sind in Addis Abeba 21°. Was ist dort los? Ist dort der ewige Frühling angebrochen? Was sind das für Gegensätze zwischen Eis und Heiss! Alpine Kälte bei uns und angenehme Wärme in Ostafrika. Oder ist es zur Zeit gar eine tropische Hitze dort?

Was verbindet uns über extreme klimatische Gegensätze hinweg? Es ist ein Naturprodukt. Dieses Element gibt es überall, in welcher Form auch immer, sei es in Form von Schnee oder Eis. Sei es in Form eines tropischen Regens.

Es ist das Wasser.

Überall wird es gebraucht. Bei uns in wintersportbegeisterten Alpen­ländern genau wie am Horn von Afrika. Bei uns am Untersee und Rhein ebenso wie im Hochland von Äthiopien.

Von diesem Naturelement hörten wir in der Lesung. Im Äthiopienbericht war ebenso davon die Rede. Fragen wir genauer: Von welchem Wasser war da die Rede?

Es fliesst am Jordan. Es wird vom Täufer Johannes verwendet, als er den Heiland tauft. Und auch bei uns wird es verwendet im Gottesdienst. Bei uns in der Stadtkirche erfüllt Taufwasser eine wichtige Aufgabe, übrigens ebenso wie in den Kirchen Äthiopien. Vielleicht spielt es dort noch eine grössere Rolle?

2                Der Kämmerer

Begeisterung wird in Äthiopien geweckt bis auf den heutigen Tag über dieses urwüchsige, mächtige Naturelement. Da gibt es eine heilige Erzählung mit einer heiligen Wasser-Hand­lung. Dieser Bericht hat Auswirkungen bis auf heute.

Ein Afrikaner, ein hochgestellter Mann, wir würden heute sagen: Ein Bundesrat. Der Leiter des Finanzdepartements. Dieser Mann ist in Jerusalem und macht dort eine seltsame Erfahrung mit dem Tempel und mit einer Schriftrolle.

Nun ist er auf Heimweg. Seine gut gefederte Kutsche bewegt sich langsam. Vor der Mittagssonne ist er geschützt durch einen Baldachin. Äusserlich gesehen, hat es gemütlich. Innerlich aber ist er in Unruhe. Er liest in einer heiligen Schriftrolle, die er im Tempel erworben hat. Hören wir, was dann geschieht:

„Nun war da ein Äthiopier, ein Kämmerer, Hofbeamter der Kandake, der Königin der Äthiopier, der ihren ganzen Schatz verwaltete. Dieser war nach Jerusalem gekommen, um Gott anzubeten, und fuhr jetzt heimwärts. Er saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. Und der Geist sagte zu Philippus: Geh und folge diesem Wagen.

Philippus lief hin und hörte ihn den Propheten Jesaja lesen. Da sagte er: Verstehst du auch, was du liest? Jener antwortete: Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet? Und er bat den Philippus, einzusteigen und neben ihm Platz zu nehmen …

… Da begann Philippus zu reden und ausgehend von diesem Schriftwort verkündete er ihm das Evangelium von Jesus. Als sie nun weiterzogen, kamen sie zu einer Wasserstelle. Da sagte der Kämmerer: Hier ist Wasser. Was steht meiner Taufe noch im Weg?

Er liess den Wagen halten und beide, Philippus und der Kämmerer, stiegen in das Wasser hinab und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser stiegen, entführte der Geist des Herrn den Philippus. Der Kämmerer sah ihn nicht mehr und er zog voll Freude weiter.“

Apostelgeschichte 8,27–39

3                Wertschätzung der Taufe

Ein Ereignis mit weitreichenden Folgen: Bis heute wird dieser Finanzbeamte in Äthiopien verehrt als derjenige, der die Freude und die Taufe und überhaupt das Christentum nach Ostafrika brachte.

Bis heute wird afrikanische Taufbegeisterung überdeutlich, wenn äthiopische Männer, Frauen, Kinder diesen Tag feiern. Den Tag der Taufe. Welche Taufe? Die Taufe von Jesus. Und damit die Taufe aller Völker, wie es im Taufbefehl des Herrn vorausgesagt ist.

In Äthiopien heisst dieses Tauffest Timket (zu deutsch: Erscheinung). Es findet gestern und heute, am 19. und 20. Januar, statt.

Dann geht die Post ab, das sage ich euch! Heilige Tafeln werden von den Altären der Kirchen ans Wasser geschleppt. Am Ufer wird eine Taufzeremonie nachgespielt mit Tausenden von Menschen.  Die Menschen sind geradezu verrückt nach dem Taufwasser, nehmen es nach Hause in Kübeln und Gefässen, weil dieses Wasser eine segensreiche Wirkung für Haus und Hof und Gesundheit entfalten soll. Jedes Jahr wird deshalb die Taufe neu zelebriert.

Können wir uns davon eine Scheibe ab­schneiden? Was lernen wir von unseren äthiopischen Schwestern und Brüdern? Genau das: Ihre Wertschätzung der Taufe. Das wird uns zum Vorbild.

Warum? Wegen der Gleichheit überall auf der Welt. Wenn wir getauft werden, sind wir alle gleich, egal wo wir wohnen und welche Herkunft wir haben. Die Taufe ist so einfach, so unkompliziert. Da braucht es keine Umwege und Klimmzüge, auch keine finanziellen Ausgaben oder standesgemäße, großbürgerlich Regeln, um dieses Fest auszurichten und zu erleben.

Taufe ist überall und jederzeit möglich. Denn Wasser gibt es überall. Und den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes rufen wir überall auf der Welt an.

Das verbindet weltweit. Die Taufe fügt uns zusammen. Sie integriert die  Welt­ge­mein­schaft … in Ost und West und Nord und Süd. Weiss und schwarz und rot und braun und gelb. Männer und Frauen und Kinder. Arm und reich und hoch und niedrig.

Die Taufe bringt also die Globalisierung voran. Ausnahmsweise hat dieses Wort mal einen positiven Klang … Das ist ein lebendiges Hinüber und Herüber. Wir lernen von  ihnen, sie lernen von  uns. Das ist eine gegenseitige Wertschätzung. Da gibt es Besuche hinüber und herüber zwischen der Schweiz und Ostafrike. Gegenseitig gleichen wir unsere Defizite aus. Das haben sie und wir auch sehr nötig.

4                Unsere Probleme

Bei uns liegt manches im Argen, finde ich. Geht es nur mir so? Ist das auch Ihre und Eure Erfahrung?

Unser religiöses und kirchliches Leben im Städtli ist ordent­lich. Aber nicht gerade tiefgründig. Nicht gerade intensiv. Nicht gerade stark und dynamisch. Und hat viel zu wenig Ausstrahlung.

Spüren wir Freude am Glauben? Empfinden wir Begeisterung über Gott und Jesus?  Unser geistliches und kirchliches Leben ist verbesserungs­bedürftig. Da gibt es viele Baustellen.

Hier lernen wir von aussen – von ihnen, die in Äthiopien wohnen.

Hier empfangen wir Hilfe von aussen – von ihnen.  Hier spüren wir Impulse – von ihnen.

Von ihnen lernen wir, was uns mitreisst, was uns in unserer Liebe zu Gott, zu Jesus, zur Kirche wirklich nach vorn bringt: Die Taufe. Die Erinnerung daran.

Denken wir einmal genau darüber nach und lernen wir von ihnen! Damit wir unsere Taufe hereinholen ins tägliche Leben. Damit wir unsere Taufe Tag für Tag präsent haben vor unserem geistigen Auge.

Wir versuchen es ja hier in der Stadtkirche durch dieses Wandsymbol, welches die Wellen des Rhein darstellen soll, in die die Fischlein der neugetauften Gemeindeglieder eintauchen und daraus wieder auftauchen.

Es ist ein kleiner, aber wichtiger Anfang, damit die Taufe bei uns den Stellenwert bekommt, der ihr nach Gottes Willen zusteht.

5                Ihre Probleme

Was aber fehlt ihnen, die in Äthiopien leben? Vielleicht haben wir es? Vielleicht können wir mit etwas dienen? Sie haben zu wenig berufliche und fachliche Kenntnisse. Ihr Land ist – äusserlich und materiell gesehen – noch nicht so entwickelt.

Da lernen sie von uns. Da empfangen sie von uns Hilfe. Hilfe zur Selbsthilfe, Anstösse und Anregungen, und auch finanzielle Anschübe.

6                Austausch und Ausblick

Wechselseitig ist es ein Ausgleich in geistlicher und materieller Hinsicht:

Sie teilen uns ihren geistlichen Reichtum und ihr überfliessend schönes Brauchtum mit.

Und wir teilen unseren beruflichen Fer­tig­keiten mit und geben einen finanziellen Anschub, damit dort eine Entwicklung in Gang gebracht wird in Erziehung und Wirtschaft.

Was wir haben, geben wir. Was sie haben, geben sie.

Und dann treffen wir uns im Zeichen des Regenbogens, der vorgestern abend riesengross über unserem Städtli zu sehen war.

Und dann wird Friede zwischen uns und ihnen, also Selam, wie man auf äthiopisch dazu sagt, Friede und Begegnung zwischen unseren Völkern und Kulturen im Zeichen der Taufe.

Wir erfüllen dann alle miteinander den Taufbefehl, den unser Herr Jesus Christus ausgesprochen hat am Schluss des Matthäusevangeliums Kapitel 28, Verse 18 bis 20:

„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.

Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.

Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Amen

 

Predigt vom 6.1.2019 – König der Herzen

Icon

Predigt zum 06.01.2019 102.40 KB 2 downloads

...

Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, da das Kindlein war.

Matthäus 2,9

1                Weisheit des Ostens

Beladen mit Schätzen des Orients sind sie unterwegs: Weisheits­lehrer mit einer mäch­tigen, geradezu königlichen Aus­strah­lung, und ausgestattet mit ausserordentlichen Vollmachten.

Woher kommen sie? Aus dem Osten. Also aus Persien, jener uralten Grossmacht, die gerade erst zu neuer Blüte aufgestiegen ist? Aus dem Zweistrom­land, wo die Stern­kunde hoch im Kurs stand? Oder von noch weiter östlich, aus Indien, dem Land der Dichter und Denker?

Und welche Religion bringen sie mit? Kamen sie aus Persien, verehrten sie den Lichtgott, waren vermutlich dessen Feuer­priester. Stammten sie aus Indien, glaubten sie an den Kreislauf der Wiedergeburten und den schlussendlichen Eingang in die Vollendung.

Zugleich haben sie bestimmt schon Sympathien für den einen Gott entwickelt, den Schöpfer Himmels und der Erden, der in Israel angebetet wird.

2                Welche Ausmaße !

Woche um Woche zieht ihre Karawane west­wärts durch die arabische Wüste. Meist sind sie bis spät in den Abend unterwegs. Ein wun­der­bares Himmelslicht leitet sie in eine bestimmte Richtung. Dorthin, wo eine bemerkenswerte Geburt stattgefunden hat.

­Was vermag das neugeborene Kind? Welche Kräfte sind in ihm wirksam? Sogar Him­mels­körper – Fixsterne und Planeten, ganze Galaxien – sind ihm dienstbar und gehorchen ihm. Dieses Kind bringt himmlische Kräfte und irdische Mächte zu­sam­men. Es vereinigt Ost und West, Nord und Süd. In ihm sind göttliche Energien wirksam.

Wird dieses Kind ein Herrscher wie Kyros der Grosse? Wie Alexander der Grosse? Wie Kaiser Augustus? Die ha­ben bereits begonnen, die Welt zu einer Einheit zusammenzufügen. Wird der neugeborene König ihr Werk vollenden? Das kann doch eigentlich nur Gottes Sohn tun!

3                Noch Fragen ?

Jene Forscher kamen aus asiatischen Hochkulturen. Wir kom­­men aus einem europäischen Kul­turland: vom Hoch­rhein und Untersee, und bewegen uns in der modernen Lebenswelt. In unseren Häusern haben wir uns wohnlich eingerichtet.

Ob wir uns dennoch auf den Weg machen wie jene Männer? Wo liegt das Land unserer Träume, das uns heilig ist? Wer ist der König, den wir suchen und zu dem wir aufschauen? Den wir ehren mit unseren Geschenken, Gebeten, Liedern, mit unserem ganzen Leben?

Oder ist uns das, was hier berichtet wird, zu hoch? zu schwer? zu herrschaftlich? Wir leben in der Schweiz, also seit Jahr­hunderten ohne Fürsten und Monarchen. Weise aus dem  Mor­gen­land lassen wir uns noch gefallen. Aber dass das könig­liche Fi­gu­ren sein sollen, die dem ober­sten Herrscher hul­digen? Welche Vorstellungen von Autorität kommen hier zum Vor­schein?

Wirkt das nicht befremdlich, fast unheimlich auf unser behaglich-bürgerliches Lebensgefühl?

4                Der Gang der Entwicklung

Jene klugen, aufgeklärten, überaus vernünftigen Männer hatten anfangs bestimmt auch ihre Zweifel und bequemen Ausreden. Aber die haben sie jetzt überwunden. Jetzt lassen sie sich nicht mehr beirren bei ihrer Suche nach gerechter und welt­weit gültiger Herrschaft. Sie rechnen fest mit einem baldigen Machtantritt des Friedenskönigs. So schnell wie möglich wollen sie sich ihm erkenntlich zeigen.

Sie finden und beschenken den Neugebo­re­nen in der Stadt Bethlehem. Von ihm erwarteten sie, dass er eines Tages zum wohltätigen Herrscher aller Völker aufstei­gen werde. Ganz so, wie es in uralten Prophe­zei­ungen vorausgesagt ist – nicht nur in der jüdischen Bibel, sondern auch in den heiligen Überlieferungen ihrer angestammten Religion.

Mit diesem ge­wal­ti­gen Entwick­lungs­schub rechnen sie – obwohl sie den Heiland der Welt vorläufig „nur“ als Kind bescheidener Eltern erleben. Die einfache Umgebung dieser Familie macht ihnen nichts aus. Denn sie spüren die grossartige Atmosphäre, die vom Kind in der Krippe ausgeht. Und darauf bauen und vertrauen sie.

5               Aufschwung trotz Bedenken

Sie sahen ihn. Hörten sein freudi­ges Geschrei. Betasteten seine Händchen und Füsschen.

Und wir? Sehen tun wir ihn nicht, geschweige denn betasten. Ist er überhaupt noch am Le­ben? Er endete ja tragisch am Kreuz. Ist seine Geschichte nicht längst vorbei?

Aber halt! Ir­gend­wo muss er doch sein! Er kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. Ich bin über­zeugt: Im Verborgenen geschieht einiges an ihm. Und mit ihm. Und durch ihn.

Gut Ding will Weile haben. Gründlich bereitet er sich vor. Worauf? Auf einen neuen Einsatz. Der Tag rückt näher, an dem er sein Ziel erreicht. Das ist der Tag, an dem er wieder­kommt auf unseren Planeten. Das ist der Tag, an dem er endgültig zu welt­be­stim­mender Grösse auf­steigt. Dann ist er der sichtbare Mittel­punkt einer neuen, heiligen Welt­ordnung.

6                Der innere Weg

Hohe Worte! Was steckt dahinter? Ganz überzeugt sind wir immer noch nicht. Wir müssten ihn hier und heute spüren. Und zwar deutlich.

Mein Vorschlag: Höre einmal genau hin. Mache eine Reise in dein Inneres und lausche! Vernimmst du Signale? Findest du deinen inneren Leitstern? Deinen inneren Kompass?

Du findest Jesus im Grunde deines Herzens. In der Tiefe deiner Seele. In den Wegen deiner Gedanken. In den Regungen deines Gewissens. Dort wartet er auf dich. Dort begegnet er dir. Dort stellt er dich vor die Entscheidung.

Im Klang deines Herzens hörst du die Stimme deines Königs. Diese Stimme kommt nicht von oben herab, sondern ist dir vertraut. Und sie kommt dir immer näher.

7                Begrüssungsgeschenk

Genau wie er diese Begegnung gründlich vorbereitet, tun auch wir es. Dass wir ja nicht mit leeren Händen erscheinen! Es muss ja nicht gleich Gold sein, auch nicht unbedingt Balsam oder Weihrauch oder ein wertvolles Gewürz. Das alles wurde ihm schon überreicht.

Wir hingegen entwickeln einen besonderen Ehrgeiz. Wir bringen etwas, woran vielleicht noch kaum einer gedacht hat. Wir schenken ihm unser Herz! Das ist wertvoller als alles Gold dieser Welt. Das ist etwas Persönliches. Das ist das Beste, was wir haben.

Legen wir unser ganzes Leben mit allen Höhen und Tiefen vertrauensvoll in seine Hände. Er ist der neugeborene König und künftige Weltenherrscher. Bei ihm sind wir auf der sicheren Seite. Was kann uns noch passieren?

8                Mächtiges Wohlgefühl

Du und ich, wir sind ja nicht allein in seiner Nähe. Da gibt es noch viele, viele andere. Er wird ver­ehrt von vielen klugen Männern und Frauen aus aller Welt, und dazu von un­zähligen ein­fachen und beschei­denen Leuten. Diese riesengrosse Gemeinschaft trägt und hebt. Sie macht uns alle stark. Denn wir alle sitzen im gleichen Boot, das nicht sinken kann.

Es gab eine Zeit als Schüler und Student, da bekam ich Zweifel an der Wahrheit des Chri­sten­tums. Aber dann sagte ich mir: Was für einer grossartigen Glaubensgemeinschaft gehörst du doch an! Deine Familie glaubt daran. Deine Lehrer, Freunde und Vorbilder glauben daran. Deine Vorfahren haben fest daran geglaubt. Millionen – nein, was sage ich – Milliarden Men­schen glauben daran. Als weltweite Gemeinschaft bilden wir ein unzerreiss­bares Band. Es ist unmöglich, dass wir alle miteinander in die Irre gehen.

Solche Gedanken haben meine Zweifel mit der Zeit über­wunden. Ich bekam neue Zuversicht und lernte, meinen Glauben selbstbewusst zu leben. Immer mehr wurde mir bewusst:

Die Bewegung, die durch jenes Kind ins Leben ge­ru­fen wurde, hat im Lauf der Jahr­hun­der­te und Jahrtausende alle anderen Religionen über­flügelt. Das Christentum ist inzwischen die zahlenmässig grösste Glaubensgemeinschaft der Welt. Das sei in aller Bescheiden­heit gesagt.

Damit ist nicht gesagt, dass andere Religionen nichts wert sind. Im Gegenteil. Sie be­inhal­ten hohe Gedanken, ehrwürdige Gefühle, wertvolle Weisheiten, die allesamt im Christentum zur Vollendung kommen. Die Weisen aus dem Morgenland sind der beste Beweis dafür: Sie bringen ihren angestammten Glauben zur Krippe von Bethlehem. Unter dem unwider­steh­lichen Einfluss von Jesus wird ihr heidni­sches Denken umgeformt, verwandelt und veredelt.

Was für ein wunderbar mitreissendes Gefühl löst das aus! Was für eine Begeisterung! Was für einen Gemein­schafts­geist! Es geht um die stärkste und wichtigste und bedeu­tend­ste Persön­lich­keit der Welt­ge­schic­h­te: Um das Kind in der Krippe, den Mann am Kreuz, den Held von Ostern. Er ist es wert, dass wir uns ihm unter­ordnen mit allen unseren Gedanken, Wünschen und Vorstellungen. Denn er ist der Mann der Zukunft.

9                Segenswunsch

Was ist also mein Wunsch für dieses neue Jahr? Dass wir die Strasse nach drinnen finden. Und diese Strasse auch wirklich gehen.

Dort fällt es dir leichter zu gehorchen. Dort auf dieser Strasse findest du deinen Meister. Die grösste Autorität der Welt­ge­schic­h­te flüstert dir in deinem Herzen fein und zart den göttlichen Willen zu.

Und dadurch lernst du glauben. Dadurch wirst du immer selbstbewusster in deinem Glauben.

Sollte angesichts solcher Möglichkeiten jemand von uns im Abseits bleiben? Das geht doch einfach nicht! Wer kann hier widerstehen?

Also nichts wie hin, Augen und Ohren aufgemacht! Und dann bist du hin und weg vor Begeisterung. Den König der Herzen hat du gefunden, den Meister deines Lebens, Amen.

Friedenspredigt am Neujahrstag 01.01.2019

File Size 71.11 KB
Downloads 4

1                          Appell des Künstlers

Ich erinnere mich an Herbert von Karajan bei einem seiner letzten Neujahrskonzerte in Wien 1987. Da hat er, schon als zerbrechlicher Greis, der sich kaum noch auf den Beinen halten und nur von einem Hocker aus dirigieren konnte, noch einmal das Wort ergriffen.

An das Publikum in der Wiener Staatsoper und vor Millionen Fernsehzuschauern in aller Welt richte­te er einen flehentlichen Appell. Das war sein innerstes Vermächtnis, das er der Men­s­c­h­­heit mitgeben wollte: „Und was ich Ihnen von ganzem Herzen wünsche, ist Frieden … Frieden … Frieden …“

Was für ein schönes Wort! Wer wünscht sich das nicht? Wer wollte nicht Harmonie und Eintracht erleben im neuen Jahr?

2                          Aufruf des Königs

In diesem Wunsch wer­den wir unterstützt vom Jahresmotto 2019 aus Psalm 34 Vers 15. Dort steht der schlichte Satz geschrieben:

„Suche Frieden!“

So weit, so gut. Von wem stammt die Aufforderung? Von König David. Moment mal. Aus­ge­rechnet der? War der beson­ders friedfertig? Oder nicht das Gegenteil davon? Der lebte doch ein bunt­gefärbtes Herrscherleben mit vielen Licht- und Schattenseiten. Und war ein ziemli­cher Hau­degen und Haudrauf. Ist das der Grund dafür, dass er seinen Aufruf zum Frieden mit einem Wort aus der Jäger­sprache garniert? Der vollständige Satz lautet nämlich:

„Suche Frieden und jage ihm nach!“

Also beim besten Willen: dem Frieden nachjagen – das verstehe, wer will. Wie passt das zu­sammen? Eine Jagd ist doch etwas extrem Kämpferisches! Ein Duell zwischen Mensch und Tier. Etwas Blutiges. Da wird Gewalt angewandt. Wenn man „Frieden“ und „Jagd“ kombiniert, klingt das fast wie das alte römische Sprichwort, das da lautet:

„Wer Frieden will, muss zuerst zum Krieg rüsten.“

Was machen wir also mit Davids sperrigem Vers, der Friedenssuche mit Jagd und Kampf verbindet? Versuchen wir, den Vers von seiner militanten Sprache herunter zu brechen, ihn abzuwandeln auf unsere bürgerlichen Verhältnisse. Probieren wir, den Vers zu entmilitarisieren. Dann klingt er vielleicht so:

„Suche Frieden unter allen Umständen, mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen.“

Wie klingt das? Auch jetzt ist der Vers noch extrem anspruchsvoll, noch sperrig genug. Ist das nicht immer noch zu steil? Können wir das wirklich: alle Hebel in Bewe­gung setzen, damit es Frie­de werde im familiären und gesellschaftlichen Zusammen­le­ben, im Städtli, in der Region, im Kanton, in der Eidgenossenschaft, in Europa, in der weiten Welt?

Vermögen wir wirklich alles, was in unserer Macht steht, einzusetzen, um diesen Frieden zu ergattern – koste, was es wolle? Überfordert uns das nicht? Oder anders gefragt: Kann man es mit dem Frieden nicht auch übertreiben? Gibt es nicht auch einen Missbrauch damit? Gibt es nicht den Fall, wo unter diesem hehren Wort eine Beeinflussung oder Manipulation verborgen ist?

3                          Friedenspolitik

Erinnern wir uns: Die kommunistischen Staaten, als sie noch bestanden, veranstalteten regel­mäs­sig Friedens­festspiele. Etwa im Sport oder bei kul­turellen Anlässen. Da wurde das edle Wort „Frie­den“ zum Teil einer staaatlichen Werbe-Aktion, um das Image aufzubessern.

Und wie war es bei der Friedensbewegung in den 1970er und 1980er Jahren hier in den westlichen Ländern? Bei allem Respekt vor dem Engagement dieser Männer und Frauen: Diese Bewegung war meist von fort­schritt­lichen, eher links gerichteten Ideen bestimmt. Dadurch bekam das schö­ne Wort „Frieden“ einen etwas ein­seitigen Beigeschmack.

Denn was sollte der eher traditionelle Teil der Bevölkerung mit der Friedensbewegung anfangen? Sehr viele Menschen wollten sich nicht vor diesen Karren spannen lassen.

Ich weiss noch gut, dass bei mir im Elternhaus der Pazifismus – also das bedingungslose Streben nach Frieden entsprechend dem Vorbild von Mahatma Gandhi und Martin Luther King – gar nicht gut angesehen war. Bei uns zuhause klang das Wort „Friede“ nach Ka­pi­tu­la­tion vor dem Kommunismus.

Nun, die Zeiten haben sich geändert und der Kom­munismus, jedenfalls in Europa, ist Geschichte. Und beim Fall des Eisernen Vorhangs vor 30 Jah­ren dachte manch einer: Nun ist der Friede nicht mehr aufzuhalten, die Menschheit bricht zu neuen Ufern auf …

Schon bald wurde klar, dass das zu idea­li­stisch gedacht war.

4                          Gegensätze

Denn, nicht wahr, wir sind und bleiben nun einmal Menschen. Und das heisst: Wir haben unterschiedliche Interessen. Wir können nicht alles und jedes versöhnen und befrieden.  Allen Leuten recht getan ist eine Kunst, die niemand kann. Jeder von uns hat seinen eigenen Willen, der eben nicht übereinstimmt mit dem Willen der anderen.

Warum grenzen wir uns überhaupt ab? Um eine gewisse Selbständigkeit und einen eigenen Wert zu bekommen. Das fängt schon bei Kleinkindern an. Ich bin ich und du bist du. Und da ist noch ein dritter und vierter – und das sind auch wieder eigenständige, eigenwillige Personen.

Ich habe meine Sachen, und du hast die deinen. Ich habe meine Probleme, und du hast die deinen. Am besten vermischen wir sie nicht. Auch in der besten Ehe geht der eine Partner nicht im anderen auf. Es sind immer noch diese zwei Menschen. Selbst Zwillinge, wenn sie erbgleich sind, haben nicht die gleiche Identität und nicht dieselben Interessen.

5                          Selbstbestimmung

Dass wir Standpunkte und Schwerpunkte haben, die sich unterscheiden (manchmal sogar sehr), ist ein allgemeines Lebensgesetz im ge­sam­ten Kosmos und darüber hinaus. Das gilt auf der Erde ebenso wie im Himmel.

Dass es Unterschiede gibt zwischen den Per­sonen, zwischen ich und du, ihr und wir – das respektiert selbst Gott, und lässt es so stehen. Er will uns gar nicht unter einen gemeinsamen Nenner bringen. Er will uns gar nicht unter irgend einem Schlagwort vereinnahmen. Jedem von uns lässt er den eigenen Willen. Er wünscht ausdrücklich, dass jeder von uns sein eigenes Profil entwickelt.

Gott respektiert ja auch den Willen von Jesus. Und achtet ebenso den Willen des Hei­li­gen Geistes. Das sind drei höchsten Personen. Sie leben eng beieinander in ewigem Frieden. Aber jeder von den dreien setzt eben doch auch gern eigene Akzente. Nur, die drei schaffen es, ihre unterschiedlichen Sch­we­r­punkte fortlaufend mit­ein­an­der zu har­mo­ni­sieren in vollendeter Weise. Das ist der Friede Gottes, der über alle Vernunft ist – den wir nicht verstehen, geschweige denn nachmachen können, sondern nur staunend und bewundernd anbeten.

6                          Engelstreit

Die herrliche Eintracht, die im Himmel herrscht, ist etwas, das aussschliesslich Gott und Jesus und dem Heiligen Geist vorbehalten ist. Das kann kein Geschöpf nachmachen.

Nicht einmal die Engel schaffen es, untereinander und mit Gott Frieden zu halten. Ein Teil von ihnen hat sich sogar gegen den Schöpfer empört, worauf ein regelrechter Krieg zwischen guten und abgefallenen Engeln ausbrach.

Wenn nicht einmal die Engel es fertigbringen, Frieden zu halten – wie sollen wir das schaffen? Unsere fehlt die innere Harmonie. In uns brechen immer wieder Zorn und Leidenschaften auf. Ist das nicht der Grund für viele Auseinandersetzungen? Für Streit und Angriffe? Für Schlägereien und Handgreiflichkeiten? Für Gewaltanwendung verschieden­ster Art? Und zwar im kleinen Maßstab ebenso wie im Bereich ganzer Völker. Gott sei es geklagt.

7                          Flickwerk

Manchmal werden diese Gegensätze notdürftig überbrückt. Das sind dann die berühmten Kom­pro­mis­se nach dem Motto: Wir wissen, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Und signalisieren uns gegenseitig, dass jeder bei seiner Meinung bleibt. Deshalb schlagen wir uns noch lange nicht die Köpfe ein. Sondern wir halten still und halten Abstand voneinander.

Mit anderen Worten: Es gibt derzeit (noch) keine natürliche Harmonie zwischen uns Menschen. Sondern nur einen notdürftigen Vergleich der Gegensätze. Vielleicht im Sinne eines vernünftigen Ausgleichs. Das ist ja auch schon etwas. Immerhin.

Die Übereinkunft, die entsteht im Miteinander oder Neben­ein­ander, ist freilich ziemlich zer­brech­lich. Sie kann jederzeit auseinander brechen. Und dann ist der Streit wieder da. Das passiert in den besten Familien und an den schönsten Kaffeetafeln.

Die Bruchstelle kann geflickt werden, vielleicht nur notdürftig, und das hält dann eine Zeitlang. Aber eben nur bis zur nächsten Eintrübung. Was für ein schwankendes Gleichgewicht ist das doch …

Das ist besser als gar nichts. Das hilft, um einigermassen zu über­leben. Wir müssen ja auf irgend eine Weise miteinander oder nebeneinander leben – manchmal mehr schlecht als recht, aber immerhin.

Wir können und wollen nicht auswandern auf den Mond. Wir sind ge­bun­den an diese Erde. Und das heisst, wir sind den Lebensgesetzen dieser Erde unterworfen. Und das heisst:

Wir sind darauf angewiesen, mit unseren Mitmenschen irgend ein Einvernehmen, also eine Art Abkommen zu treffen, so dass wir uns gegenseitig in Ruhe lassen. Und uns einiger­mas­sen leben lassen. Auch wenn der volle Friede vorläufig noch nicht erreichbar ist. Besser ein Teil davon als gar nichts davon.

8                          Hoffnung

Tröstlich und aufbauend ist, dass Gott genau diese unvoll­kom­me­nen, zerbrechlichen, bloss vorläufigen Friedens­schlüsse respektiert, ja fördert. Gerade aus ihnen macht er etwas, worauf sich auf­bauen lässt. Er wünscht, dass sich dadurch etwas entwickelt – nach vorne und nach oben.

Denn das Endziel hat Gott nicht aus den Augen verloren. Irgendwann soll die Harmonie, die er selber in seinem Verhältnis zu seinem Sohn und zum Hei­li­­gen Geist hat, sich dann auch auf die Erde übertragen. Irgendwann soll der himmlische Friede bei uns auf Erden anfangen.

Davon haben die Engel auf den Fluren Bethlehems gesungen, als der Heiland geboren wurde. Und deshalb beten wir im Unser Vater: Wie im Himmel so auf Erden …

Es ist ein weiter Weg bis dorthin. Aber immerhin: wir sind un­ter­wegs. Gott und Jesus und der Heilige Geist neh­men uns an der Hand. Sie hauchen uns ihren Geist des Friedens ein. Wir inhalieren diesen Geist des Friedens. Dieser Geist des Friedens ist höher als unsere Vernunft.

Was ist also mein Rat? Versuchen wir es mit dem Frieden. Und seien wir nicht enttäuscht, wenn es nicht gleich so richtig klappt. Keiner ist vollkommen. Nicht einmal die Engel schaffen es. Es gibt Rückfälle. Lassen wir uns davon nicht entmutigen. Stehen wir immer wieder auf. Und fangen an zu jagen. Das ist ein schwieriges Wort, aber es weist uns auf die richtige Spur.

Wir sollen und müssen es versuchen, wieder und wieder. Ein Jäger pirscht sich stundenlang heran, streift tagelang durch Feld, Wald und Flur. Wie ausdauernd ist er dabei! Gut Ding will Weile haben. Halten wir es genauso bei unserer Suche nach Frieden, Amen.