Andacht zum Palmsonntag 2020
Täusche ich mich? Sehe ich recht oder nicht? Blicke ich nach draussen auf die Strassen im Städtli, kommt es mir vor, als sei jeder für sich selbst unterwegs. Ist es nicht so: Jeder erprobt seine eigene, auf sich selbst zugeschnittene Rolle? Ja, jeder sucht sich seine Route durch das Labyrinth des Daseins. Jeder bahnt sich seine ganz persönliche Strasse durch diese schwierigen Wochen. Und warum ist das so? Wir nehmen eine Auszeit vom normalen und geschäftigen Leben. Wir tun das nicht gerade gern. Sondern aus Einsicht in eine höhere Notwendigkeit. Also ob wir wollen oder nicht: Jeder ist mehr oder weniger auf sich gestellt, oder allenfalls auf seinen kleinsten Familienkreis beschränkt. Und jeder einzelne hofft, dass er schlussendlich an ein gutes Ziel kommt. Wenn es dann soweit ist, freuen wir uns umso lebendiger, umso kraftvoller – und vor allem: Wir tun das dann zusammen!
Noch ist nicht soweit. Noch sind wir zwar nicht eingesperrt in die eigenen vier Wände, aber doch gebunden und gefesselt an unsere einsamen Wege. Noch müssen wir diesen Druck und diese Spannung ertragen. Die meisten von uns verhalten sich so besonnen, so gut es irgend geht. Freilich, manch einem fällt fast schon die Decke auf den Kopf. Besonders unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger haben es unendlich schwer. Für sie bedeuten diese Tage und Wochen eine grosse, kraftraubende Anstrengung.
Uns allen wünsche ich, dass wir diese Herausforderung bestehen. Uns allen wünsche ich, dass wir die soziale Trennung durchhalten, so gut es geht und solange es nötig ist. Uns allen wünsche ich, dass wir die einsamen Wege – wenn wir sie schon gehen müssen – dann auch innerlich bejahen. Genau wie Jesus von Nazareth es getan hat. Oft war er mehr oder weniger allein, musste er sich selbst seinen Weg bahnen, abgetrennt vom Strom des pulsierenden Lebens. Dann zog er sich zurück auf einsame Berge. Oder in die Steppen und Wüsten. Da war er dann allein mit seinem Gott und Vater, den er auch in der grössten Stille nie aus den Augen verlor.
Dann wieder hat Jesus das Bad in der Menge gesucht. Das war auf dem Höhepunkt seines Wirkens. Da hat er sich aufgemacht und ist in die Hauptstadt geritten auf einem Esel. Dabei hat er eine uralte Prophezeiung erfüllt. Eine unübersehbar grosse Schar, jede Menge Kinder und Erwachsene, hat ihn willkommen geheissen mit Jubelrufen, mit blühenden Blumen, mit Palmzweigen, mit ausgestreutem Grünzeug auf dem Weg. Sogar die Kleider haben sich die Leute vom Leibe gerissen und damit die Strasse gepflastert, auf der der Meister in die Hauptstadt eingezogen ist. Sie haben ihm damit gleichsam den roten Teppich ausgerollt. Was für ein Jubel, was für ein Lobgesang, was für eine hohe, helle Freude hat sich Bahn gebrochen mit überwältigender Macht! (vergleiche Evangelium nach Lukas Kapitel 19,28-38)
So ist es geschehen am historischen Palmsonntag vor bald 2000 Jahren in Jerusalem. Das ist der Tag, den wir jedes Jahr im Frühling feiern. Wir tun es an diesem Wochenende. Und dieses Jahr tun wir es in der Stille. Zugleich wünschen wir uns nichts sehnlicher, als dass diese Stille bald einmal durchbrochen wird von einem lebendigen, quirligen Miteinander. Wie schön wäre es, wenn wir nach unserer mühevollen Pilgerreise durch die Einsamkeit wieder einen gemeinsamen Weg finden! Einen fröhlichen Ausflug ins Grüne machen. Mitfiebern bei einer Sportveranstaltung. Ein Konzert besuchen. In einem gemütlichen Restaurant Platz nehmen. Einen runden Geburtstag feiern im grossen Kreis. Einen festlichen Gottes¬dienst mit der ganzen Familie erleben inmitten einer feiernden Menge … Wenn das an diesem Wochen¬ende geschehen könnte – was wäre das für ein Palmsonntag, an Glanz und Pracht kaum zu überbieten! Ein solches Datum würden wir unser Lebtag nicht vergessen.
Noch ist es allerdings nicht so weit. Selbst für die Ostertage ist mit einer Entspannung nicht zu rechnen. Deshalb bitte ich inständig: Verlieren wir die Hoffnung nicht! Halten wir die Augen offen! Jesus hat seine Augen ebenfalls offen gehalten. Als er auf einsamen Bergen, in glühender Wüste, in düsterer Steppe allein war mit sich selbst und mit seinem Gott – was hat er da getan? Da hat er Ausschau gehalten nach einem Ausgang aus der persönlichen Not, die ihn mit voller Wucht getroffen hatte. Und mitten in der tiefsten Stille tat sich für ihn ein kleines Fenster auf.
Mir fällt dazu ein Lied von Paul Gerhardt ein. Es steht unter der Nr. 683 im Gesangbuch:
Gib dich zufrieden und sei stille
in dem Gott deines Lebens. In ihm ruht aller Freuden Fülle, ohne ihn mühst du dich vergebens. Er ist dein Quell und deine Sonne, strahlt täglich hell zu deiner Wonne. Gib dich zufrieden. |
Wenn gar kein Einziger mehr ist auf Erden,
dessen Treue du darfst trauen, alsdann will er dein Treuester werden und zu deinem Besten schauen. Er weiss dein Leid und heimlich Grämen, auch weiss er Zeit, dir´s abzunehmen. Gib dich zufrieden. |
Mein Vorschlag: Dass wir an diesem stillen Palmsonntag ein kleines Fenster aufmachen. Auch die kleinste Hoffnung erfüllt uns mit innerlichen Lebenskräften. Nehmen wir uns ein Beispiel an Jesus: Seine zunächst nur kleine Hoffnung ist zunehmend gewachsen. Sie hat sich enorm gesteigert. Die uralte Verheissung des Propheten hat sich buchstäblich erfüllt. Nach wie vielen Mühen und Plagen durfte Jesus schliesslich doch seinen grossen Tag erleben – und in der Hauptstadt triumphierend Einzug halten als König der Herzen!
Diese ganz grosse Freude – noch vermissen wir sie. Noch ist sie nicht da. Aber vielleicht erhaschen wir einen kleinen Funken von dem grossen Feuer der Hoffnung, das Jesus an diesem Palmsonntag entzündet? Das wünsche ich uns! Und damit unser Hoffnungsfunke so richtig zu glühen anfängt, könnten wir folgendes tun: Auf einem Bogen Papier Palmzweige malen. Und farbige Blumen. Und bunte Tep¬piche. Zu Ehren unseres Heilandes fertigen wir diese Zeichnung an. Und darunter schreiben wir:
„Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn.
Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Lukas 19,38
Lieber Herr Jesus Christus! Noch drückt uns stiller Tage schwere Last. Noch fühlen wir uns beengt, ja gestresst durch die erzwungene Einsamkeit, in die wir gestellt sind durch höhere Gewalt. Noch muss jeder von uns seinen eigenen einsamen Weg mühsam erkämpfen. Dennoch öffnen wir jetzt das Fenster zur Zukunft. Und riechen schon den Duft des Frühlings! Wir fühlen die Kraftströme des neuen Lebens, die du mitten in der Stille bereitstellst an diesem Palmsonntag. Segne uns mit der Kraft deiner Hoffnung, mit der Liebe deines himmlischen Vaters, mit der Zuversicht deiner heilsamen Gedanken, jetzt und allezeit und in Ewigkeit, Amen.
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