Friedenspredigt am Neujahrstag 01.01.2019
1 Appell des Künstlers
Ich erinnere mich an Herbert von Karajan bei einem seiner letzten Neujahrskonzerte in Wien 1987. Da hat er, schon als zerbrechlicher Greis, der sich kaum noch auf den Beinen halten und nur von einem Hocker aus dirigieren konnte, noch einmal das Wort ergriffen.
An das Publikum in der Wiener Staatsoper und vor Millionen Fernsehzuschauern in aller Welt richtete er einen flehentlichen Appell. Das war sein innerstes Vermächtnis, das er der Menschheit mitgeben wollte: „Und was ich Ihnen von ganzem Herzen wünsche, ist Frieden … Frieden … Frieden …“
Was für ein schönes Wort! Wer wünscht sich das nicht? Wer wollte nicht Harmonie und Eintracht erleben im neuen Jahr?
2 Aufruf des Königs
In diesem Wunsch werden wir unterstützt vom Jahresmotto 2019 aus Psalm 34 Vers 15. Dort steht der schlichte Satz geschrieben:
„Suche Frieden!“
So weit, so gut. Von wem stammt die Aufforderung? Von König David. Moment mal. Ausgerechnet der? War der besonders friedfertig? Oder nicht das Gegenteil davon? Der lebte doch ein buntgefärbtes Herrscherleben mit vielen Licht- und Schattenseiten. Und war ein ziemlicher Haudegen und Haudrauf. Ist das der Grund dafür, dass er seinen Aufruf zum Frieden mit einem Wort aus der Jägersprache garniert? Der vollständige Satz lautet nämlich:
„Suche Frieden und jage ihm nach!“
Also beim besten Willen: dem Frieden nachjagen – das verstehe, wer will. Wie passt das zusammen? Eine Jagd ist doch etwas extrem Kämpferisches! Ein Duell zwischen Mensch und Tier. Etwas Blutiges. Da wird Gewalt angewandt. Wenn man „Frieden“ und „Jagd“ kombiniert, klingt das fast wie das alte römische Sprichwort, das da lautet:
„Wer Frieden will, muss zuerst zum Krieg rüsten.“
Was machen wir also mit Davids sperrigem Vers, der Friedenssuche mit Jagd und Kampf verbindet? Versuchen wir, den Vers von seiner militanten Sprache herunter zu brechen, ihn abzuwandeln auf unsere bürgerlichen Verhältnisse. Probieren wir, den Vers zu entmilitarisieren. Dann klingt er vielleicht so:
„Suche Frieden unter allen Umständen, mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen.“
Wie klingt das? Auch jetzt ist der Vers noch extrem anspruchsvoll, noch sperrig genug. Ist das nicht immer noch zu steil? Können wir das wirklich: alle Hebel in Bewegung setzen, damit es Friede werde im familiären und gesellschaftlichen Zusammenleben, im Städtli, in der Region, im Kanton, in der Eidgenossenschaft, in Europa, in der weiten Welt?
Vermögen wir wirklich alles, was in unserer Macht steht, einzusetzen, um diesen Frieden zu ergattern – koste, was es wolle? Überfordert uns das nicht? Oder anders gefragt: Kann man es mit dem Frieden nicht auch übertreiben? Gibt es nicht auch einen Missbrauch damit? Gibt es nicht den Fall, wo unter diesem hehren Wort eine Beeinflussung oder Manipulation verborgen ist?
3 Friedenspolitik
Erinnern wir uns: Die kommunistischen Staaten, als sie noch bestanden, veranstalteten regelmässig Friedensfestspiele. Etwa im Sport oder bei kulturellen Anlässen. Da wurde das edle Wort „Frieden“ zum Teil einer staaatlichen Werbe-Aktion, um das Image aufzubessern.
Und wie war es bei der Friedensbewegung in den 1970er und 1980er Jahren hier in den westlichen Ländern? Bei allem Respekt vor dem Engagement dieser Männer und Frauen: Diese Bewegung war meist von fortschrittlichen, eher links gerichteten Ideen bestimmt. Dadurch bekam das schöne Wort „Frieden“ einen etwas einseitigen Beigeschmack.
Denn was sollte der eher traditionelle Teil der Bevölkerung mit der Friedensbewegung anfangen? Sehr viele Menschen wollten sich nicht vor diesen Karren spannen lassen.
Ich weiss noch gut, dass bei mir im Elternhaus der Pazifismus – also das bedingungslose Streben nach Frieden entsprechend dem Vorbild von Mahatma Gandhi und Martin Luther King – gar nicht gut angesehen war. Bei uns zuhause klang das Wort „Friede“ nach Kapitulation vor dem Kommunismus.
Nun, die Zeiten haben sich geändert und der Kommunismus, jedenfalls in Europa, ist Geschichte. Und beim Fall des Eisernen Vorhangs vor 30 Jahren dachte manch einer: Nun ist der Friede nicht mehr aufzuhalten, die Menschheit bricht zu neuen Ufern auf …
Schon bald wurde klar, dass das zu idealistisch gedacht war.
4 Gegensätze
Denn, nicht wahr, wir sind und bleiben nun einmal Menschen. Und das heisst: Wir haben unterschiedliche Interessen. Wir können nicht alles und jedes versöhnen und befrieden. Allen Leuten recht getan ist eine Kunst, die niemand kann. Jeder von uns hat seinen eigenen Willen, der eben nicht übereinstimmt mit dem Willen der anderen.
Warum grenzen wir uns überhaupt ab? Um eine gewisse Selbständigkeit und einen eigenen Wert zu bekommen. Das fängt schon bei Kleinkindern an. Ich bin ich und du bist du. Und da ist noch ein dritter und vierter – und das sind auch wieder eigenständige, eigenwillige Personen.
Ich habe meine Sachen, und du hast die deinen. Ich habe meine Probleme, und du hast die deinen. Am besten vermischen wir sie nicht. Auch in der besten Ehe geht der eine Partner nicht im anderen auf. Es sind immer noch diese zwei Menschen. Selbst Zwillinge, wenn sie erbgleich sind, haben nicht die gleiche Identität und nicht dieselben Interessen.
5 Selbstbestimmung
Dass wir Standpunkte und Schwerpunkte haben, die sich unterscheiden (manchmal sogar sehr), ist ein allgemeines Lebensgesetz im gesamten Kosmos und darüber hinaus. Das gilt auf der Erde ebenso wie im Himmel.
Dass es Unterschiede gibt zwischen den Personen, zwischen ich und du, ihr und wir – das respektiert selbst Gott, und lässt es so stehen. Er will uns gar nicht unter einen gemeinsamen Nenner bringen. Er will uns gar nicht unter irgend einem Schlagwort vereinnahmen. Jedem von uns lässt er den eigenen Willen. Er wünscht ausdrücklich, dass jeder von uns sein eigenes Profil entwickelt.
Gott respektiert ja auch den Willen von Jesus. Und achtet ebenso den Willen des Heiligen Geistes. Das sind drei höchsten Personen. Sie leben eng beieinander in ewigem Frieden. Aber jeder von den dreien setzt eben doch auch gern eigene Akzente. Nur, die drei schaffen es, ihre unterschiedlichen Schwerpunkte fortlaufend miteinander zu harmonisieren in vollendeter Weise. Das ist der Friede Gottes, der über alle Vernunft ist – den wir nicht verstehen, geschweige denn nachmachen können, sondern nur staunend und bewundernd anbeten.
6 Engelstreit
Die herrliche Eintracht, die im Himmel herrscht, ist etwas, das aussschliesslich Gott und Jesus und dem Heiligen Geist vorbehalten ist. Das kann kein Geschöpf nachmachen.
Nicht einmal die Engel schaffen es, untereinander und mit Gott Frieden zu halten. Ein Teil von ihnen hat sich sogar gegen den Schöpfer empört, worauf ein regelrechter Krieg zwischen guten und abgefallenen Engeln ausbrach.
Wenn nicht einmal die Engel es fertigbringen, Frieden zu halten – wie sollen wir das schaffen? Unsere fehlt die innere Harmonie. In uns brechen immer wieder Zorn und Leidenschaften auf. Ist das nicht der Grund für viele Auseinandersetzungen? Für Streit und Angriffe? Für Schlägereien und Handgreiflichkeiten? Für Gewaltanwendung verschiedenster Art? Und zwar im kleinen Maßstab ebenso wie im Bereich ganzer Völker. Gott sei es geklagt.
7 Flickwerk
Manchmal werden diese Gegensätze notdürftig überbrückt. Das sind dann die berühmten Kompromisse nach dem Motto: Wir wissen, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Und signalisieren uns gegenseitig, dass jeder bei seiner Meinung bleibt. Deshalb schlagen wir uns noch lange nicht die Köpfe ein. Sondern wir halten still und halten Abstand voneinander.
Mit anderen Worten: Es gibt derzeit (noch) keine natürliche Harmonie zwischen uns Menschen. Sondern nur einen notdürftigen Vergleich der Gegensätze. Vielleicht im Sinne eines vernünftigen Ausgleichs. Das ist ja auch schon etwas. Immerhin.
Die Übereinkunft, die entsteht im Miteinander oder Nebeneinander, ist freilich ziemlich zerbrechlich. Sie kann jederzeit auseinander brechen. Und dann ist der Streit wieder da. Das passiert in den besten Familien und an den schönsten Kaffeetafeln.
Die Bruchstelle kann geflickt werden, vielleicht nur notdürftig, und das hält dann eine Zeitlang. Aber eben nur bis zur nächsten Eintrübung. Was für ein schwankendes Gleichgewicht ist das doch …
Das ist besser als gar nichts. Das hilft, um einigermassen zu überleben. Wir müssen ja auf irgend eine Weise miteinander oder nebeneinander leben – manchmal mehr schlecht als recht, aber immerhin.
Wir können und wollen nicht auswandern auf den Mond. Wir sind gebunden an diese Erde. Und das heisst, wir sind den Lebensgesetzen dieser Erde unterworfen. Und das heisst:
Wir sind darauf angewiesen, mit unseren Mitmenschen irgend ein Einvernehmen, also eine Art Abkommen zu treffen, so dass wir uns gegenseitig in Ruhe lassen. Und uns einigermassen leben lassen. Auch wenn der volle Friede vorläufig noch nicht erreichbar ist. Besser ein Teil davon als gar nichts davon.
8 Hoffnung
Tröstlich und aufbauend ist, dass Gott genau diese unvollkommenen, zerbrechlichen, bloss vorläufigen Friedensschlüsse respektiert, ja fördert. Gerade aus ihnen macht er etwas, worauf sich aufbauen lässt. Er wünscht, dass sich dadurch etwas entwickelt – nach vorne und nach oben.
Denn das Endziel hat Gott nicht aus den Augen verloren. Irgendwann soll die Harmonie, die er selber in seinem Verhältnis zu seinem Sohn und zum Heiligen Geist hat, sich dann auch auf die Erde übertragen. Irgendwann soll der himmlische Friede bei uns auf Erden anfangen.
Davon haben die Engel auf den Fluren Bethlehems gesungen, als der Heiland geboren wurde. Und deshalb beten wir im Unser Vater: Wie im Himmel so auf Erden …
Es ist ein weiter Weg bis dorthin. Aber immerhin: wir sind unterwegs. Gott und Jesus und der Heilige Geist nehmen uns an der Hand. Sie hauchen uns ihren Geist des Friedens ein. Wir inhalieren diesen Geist des Friedens. Dieser Geist des Friedens ist höher als unsere Vernunft.
Was ist also mein Rat? Versuchen wir es mit dem Frieden. Und seien wir nicht enttäuscht, wenn es nicht gleich so richtig klappt. Keiner ist vollkommen. Nicht einmal die Engel schaffen es. Es gibt Rückfälle. Lassen wir uns davon nicht entmutigen. Stehen wir immer wieder auf. Und fangen an zu jagen. Das ist ein schwieriges Wort, aber es weist uns auf die richtige Spur.
Wir sollen und müssen es versuchen, wieder und wieder. Ein Jäger pirscht sich stundenlang heran, streift tagelang durch Feld, Wald und Flur. Wie ausdauernd ist er dabei! Gut Ding will Weile haben. Halten wir es genauso bei unserer Suche nach Frieden, Amen.
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